„Bäumchen wechsel dich“ als Lebensmotto

Phytoparasitische Kleinpilze gehören nicht gerade zu den auffälligen Pilzen, selbst Personen mit sonst guten Artenkenntnissen nehmen normalerweise kaum Notiz von ihnen. Eine gut kenntliche, wenn auch wegen ihrer beschränkten Verbreitung seltene Art ist Gymnosporangium amelanchieris, ein Rostpilz, der in Deutschland nur im Allgäu und in Thüringen gefunden wurde und bis vor kurzem als „verschollen“ galt.

Wenn Pilze Partner wechseln

Wie viele andere Rostpilze durchläuft auch Gymnosporangium amelanchieris einen Lebenszyklus mit einem Wirtswechsel zwischen nicht näher miteinander verwandten Pflanzenarten und einer charakteristischen Abfolge von Sporenstadien: Während der Pilz auf Emberger-Felsenbirne (Amelanchier embergeri) die Spermogonien und Aecien bildet, wechselt er im Frühjahr auf den Gewöhnlichen Wacholder (Juniperus communis) und vollendet dort seine Entwicklung mit der Ausbildung sogenannter Telien. Er beginnt seine Entwicklung also auf einem Strauch aus der Familie der Rosengewächse, um sie auf einem Nadelgehölz abzuschließen, das zu den Zypressengewächsen gehört.

Nadelkissen auf der Blattunterseite des Wirts

An der Emberger-Felsenbirne – früher lautete ihr wissenschaftlicher Name Amelanchier ovalis – kann der Pilz sowohl die Früchte als auch die Blätter besiedeln. Dort ist er durch die Bildung braungelber Anschwellungen von wenigen Millimeter Durchmesser zu erkennen, aus denen hellbraune, schlank-konische oder hornförmige Pseudoperidien hervorragen, die sich später an den Spitzen öffnen. Manchmal wirken sie wie krumme Nadeln in einem winzigen Nadelkissen.

Auf der Blattunterseite seiner Wirtspflanze, der Emberger-Felsenbirne, bildet der Rostpilz Gymnosporangium amelanchieris kleine Erhebungen mit dünnen Pseudoperidien. Foto: Julia Kruse

Auf der Blattunterseite seiner Wirtspflanze, der Emberger-Felsenbirne, bildet der Rostpilz Gymnosporangium amelanchieris kleine Erhebungen mit dünnen Pseudoperidien.

Foto: Julia Kruse

Am Wacholder hat der Pilz jedoch eine andere Gestalt. Dort erscheinen an dünnen Zweigen haselnussbraune, polsterförmig flache und knorpelige oder oberflächlich pulverige Strukturen. Allerdings kann Wacholder im Frühjahr noch von weiteren, viel häufigeren Gymnosporangium-Arten besiedelt werden. Die sichere Bestimmung erfordert deshalb das Mikroskopieren der Sporen.

Gymnosporangium amelanchieris galt in Deutschland schon als verschollen. In jüngerer Zeit wurden dann in der Umgebung früherer Nachweise im bayerischen Allgäu und Thüringen wieder Vorkommen entdeckt. Da die Art zu Beginn des 20. Jahrhunderts häufiger nachgewiesen wurde, gehen Fachleute von einem langfristigen Rückgang aus. Zu ihrer Erhaltung oder Förderung müssen Biotopkomplexe vorhanden sein, die ein benachbartes Vorkommen beider Wirtspflanzen gewährleisten. Die neue Rote Liste der phytoparasitischen Kleinpilze führt Gymnosporangium amelanchieris in der Kategorie „Gefährdet“ auf.

Oft übersehen und schlecht beleumundet

Mit dem Ausdruck 'Parasit' wird schnell etwas Negatives verbunden. Wirt-Parasit-Beziehungen sind aber keine krankhafte und behandlungsbedürftige Ausnahme, sondern allgegenwärtig und von großer regulatorischer Bedeutung für die Ökosysteme. Selbst für seltene Pflanzenarten ist der Befall durch einen phytoparasitischen Pilz nicht existenzbedrohend – Wirt und Parasit stehen in einem ausbalancierten Gleichgewicht. Es handelt sich um Organismen, die in den Lebensgemeinschaften eine ebenso wichtige Rolle spielen können wie andere Pilze, Tiere und Pflanzen auch.

Einmalige Rote Liste

 

Rote Liste der phytoparasitischen Kleinpilze

Rote Liste der phytoparasitischen Kleinpilze.

BfN/RLZ

Deutschland ist weltweit das erste Land, für das jetzt eine Rote Liste der auf lebenden Pflanzen wachsenden Kleinpilze – der phytoparasitischen Kleinpilze – vorliegt. Die Publikation zeigt: Der Anteil der vom Aussterben bedrohten Arten dieser Organismengruppe liegt bei 13 % und ist damit höher als bei den meisten anderen Organismengruppen.

Insgesamt sind 34 % der bewerteten Arten in ihrem Bestand gefährdet und mehr als 10 % bereits ausgestorben oder verschollen. Ungefährdet sind nur 40 % der in Deutschland einheimischen 1.196 Arten.
Wesentlich gefährdet sind die phytoparasitischen Kleinpilze durch den Rückgang ihrer Wirtspflanzen. Gründe dafür sind unter anderem die Nutzungsintensivierung der Landwirtschaft, Entwässerung feuchter Standorte, Aufforstung von Offenland und Versiegelung von Flächen.

Weitere Informationen

Gymnosporangium amelanchieris

Rote-Liste-Kategorie: Gefährdet