Für jede zu bearbeitende Organismengruppe wird zunächst eine Checkliste der in Deutschland nachgewiesenen Arten und Unterarten zusammengestellt. Außerdem wird vermerkt, welche von ihnen in Deutschland einheimisch sind und welche erst vom Menschen hierher verschleppt wurden („Neobiota“). Die Autorinnen und Autoren der jeweiligen Roten Liste entscheiden, ob sie eine Gefährdungseinschätzung (siehe Schritt 3) auch für die Neobiota vornehmen wollen. Gesondert gekennzeichnet werden außerdem diejenigen Arten, die in Deutschland erst unbeständig vorkommen und noch nicht etabliert sind.
Zusätzlich zur Erstellung oder Aktualisierung der taxonomischen Checkliste sammeln die Autoren und Autorinnen einer Roten Liste alle verfügbaren Bestandsdaten. Sofern dies für länger zurückliegende Zeiträume bereits im Rahmen früherer Fassungen umfangreich geschehen ist, kann sich die Datensuche und -akquise auf den Zeitabschnitt seit der letzten Aktualisierung konzentrieren. Relevante Daten können beispielsweise bei den Naturschutzbehörden der Länder, bei Fachgesellschaften, Naturkundemuseen, regionalen Kartierungsprojekten, Planungsbüros oder bei forschenden Einzelpersonen vorliegen. Weitere Erkenntnisse ergeben sich aus der Auswertung von Einzelveröffentlichungen, Museumssammlungen oder durch die gezielte Nachsuche an früheren Fundorten. Es stehen vielfach auch Nachweisdaten aus Citizen-Science-Projekten zur Verfügung, die nach Prüfung und erfolgter Bestätigung durch Expertinnen und Experten in die Datensammlung eingehen.
Für die Gefährdungsanalyse werden die Informationen, die zur Bestandssituation und zu den Bestandstrends jeder einheimischen Art vorliegen, in folgenden Kriterien abgebildet:
1) Aktuelle Bestandssituation
2) Langfristiger Bestandstrend
3) Kurzfristiger Bestandstrend
4) Risiko/stabile Teilbestände (früher: Risikofaktoren und Sonderfälle)
Die Informationen oder Schätzungen zu den drei ersten Kriterien werden in Skalen mit vorgegebenen Schätzklassen eingeordnet. Mit dem vierten Kriterium wird die Wirkung von Risikofaktoren und stabilen Beständen erfasst. Die Gefährdungsanalyse wird durch erfahrene Expertinnen und Experten vorgenommen.
Die aktuelle Bestandssituation soll den Umfang der heute in Deutschland etablierten Populationen einer Art abschätzen. Je nach Datenlage werden Beobachtungen aus den vergangenen 10 bis maximal 25 Jahren betrachtet. Für schwierig nachweisbare Arten sind indirekte Ableitungen möglich. Für die Einschätzung der aktuellen Bestandssituation wird jede Art in eine von acht Bestandsklassen (sehr häufig, häufig, mäßig häufig, selten, sehr selten, extrem selten, ausgestorben oder verschollen, unbekannt) eingestuft.
Der langfristige Trend beschreibt die Entwicklung z. B. während der vergangenen 50 bis 150 Jahre. Bei der Betrachtung von 100 Jahren werden also die heutigen Bestandsgrößen mit denen um 1920 verglichen. Die Veränderungen werden in einer Skala von sieben Trendklassen (sehr starker Rückgang, starker Rückgang, mäßiger Rückgang, Rückgang im Ausmaß unbekannt, stabil, deutliche Zunahme, Daten ungenügend) eingeordnet.
Der kurzfristige Trend gibt die möglichen Veränderungen während der vergangenen 10 bis 25 Jahre wieder – ein Zeitraum, der von vielen Experten und Expertinnen aus persönlicher Anschauung beurteilt werden kann. So lassen sich aktuelle Tendenzen genauer berücksichtigen. Auch die zum kurzfristigen Trend vorliegenden Informationen werden in Klassen eingeordnet, die denen des langfristigen Trends entsprechen.
Das Kriterium „Risiko/stabile Teilbestände“ verknüpft zwei Prognosen: Zum einen wird vorhergesagt, ob sich der kurzfristige Bestandstrend der vergangenen Jahre aufgrund besonderer Risiken in den nächsten zehn Jahren verschlechtern wird (beispielsweise von bisher „stabil“ hin zu „mäßiger Abnahme“). Zum anderen wird abgeschätzt, ob eine Art bei Fortbestehen der jetzigen Gefährdung in absehbarer Zeit aussterben wird oder ob ein Aussterben wegen der Existenz stabiler Teilbestände unwahrscheinlich ist.
Aus den vier eingeschätzten Kriterienklassen wird anhand eines Einstufungsschemas die Rote-Liste-Kategorie ermittelt.
Rote Listen begnügen sich nicht mit der Bekanntgabe der Kategorie, sie dokumentieren auch die einzelnen Kriterienschätzungen. Dadurch wird der Einstufungsweg besser nachvollziehbar.
Artspezifische Zusatzangaben erhöhen den Informationsgehalt der Roten Listen. Zur Prioritätensetzung im Artenschutz kann beispielsweise auch die Verantwortlichkeit Deutschlands für die weltweite Erhaltung der Arten eingeschätzt werden.
Der Informationsgehalt Roter Listen ist deutlich höher, wenn neben der reinen Gefährdungseinschätzung artspezifische Zusatzinformationen mitgeteilt werden. Das können beispielsweise Hinweise auf die Abgrenzung einer Art gegenüber nah verwandten Arten, Nachweisprobleme oder eine mögliche Verwechslungsgefahr sein. Weiterhin sind spezifische Gefährdungsursachen oder die Abhängigkeit von bestimmten Umweltfaktoren mitteilenswert. Schließlich sollen Hinweise auf Verbreitungsgrenzen in Deutschland, Vorkommensschwerpunkte sowie auffällige Arealveränderungen erwähnt werden. Auch ein Vergleich mit der früheren Gefährdungseinstufung ist oft aufschlussreich.
Für die Prioritätensetzung im Artenschutz besonders wichtig ist die Information, ob Deutschland für die Erhaltung von Arten in besonderem Maß verantwortlich ist. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn eine Art – weltweit betrachtet – ihren Verbreitungsschwerpunkt in Deutschland hat oder gar ausschließlich hier vorkommt.
Für die Analyse der Verantwortlichkeit werden wie bisher drei „Leitparameter“ aufgestellt:
Die Kombination der Leitparameter führt zu Kriterien, die die Kategorien der Verantwortlichkeit definieren:
Im "Bundesprogramm Biologische Vielfalt" können Projekte speziell für den Schutz von sogenannten Verantwortungsarten gefördert werden. Informationen dazu sowie eine Übersicht über laufende Projekte sind beim Bundesamt für Naturschutz erhältlich.
Die methodische Grundlage für die Erstellung der Roten Listen wurde für den Zyklus ab 2009 vom BfN in Abstimmung mit den Autor*innen der Roten Listen entwickelt und in NaBiV 70/1 veröffentlicht. Für den Zyklus ab 2020 sind zudem die Erweiterungen der Methodik gemäß Rote-Liste-Autorentagung 2016 (Bonn, 18./19.11.2016) und der Überarbeitung 2021 (redaktionelle Änderungen, 23.02.2021) verbindlich. Eine zusammenfassende Darstellung der aktuellen Methodik der Gefährdungsanalyse ist in Vorbereitung und soll in der laufenden Reihe veröffentlicht werden.