Die Flechten nehmen unter den Lebewesen und damit auch in der biologischen Systematik eine Sonderstellung ein, denn hinter den äußerlich wie ein Organismus aussehenden Flechten verbergen sich in der Regel zwei oder mehr Arten – ein Pilz und eine Alge und/oder Blaualge. Sie sind in einer Symbiose buchstäblich miteinander verflochten. Aus Deutschland sind derzeit 2.187 Flechtenarten, 562 flechtenbewohnende Pilze und weitere 55 flechtenähnliche Pilze bekannt. Diese Zahl erhöht sich laufend, sowohl durch eine bessere Erforschung von Flechtenhabitaten, als auch durch taxonomische Untersuchungen
Viele Flechten sind an extreme Umweltbedingungen angepasst. Orte, an denen die meisten Pflanzen und Pilze allein wegen fehlender Nährstoffe oder häufiger Austrocknung nicht existieren könnten, bieten noch Lebensräume für Flechten. Einige Arten sind so kältetolerant, dass sie selbst nackten Fels in der nivalen Höhenstufe der Gebirge besiedeln können. An vielen dieser unwirtlichen Standorte haben Flechten keine Konkurrenz.
Viele Flechtenarten reagieren empfindlich auf Veränderungen der Luftqualität. Im 20. Jahrhundert gingen die Bestände einiger Flechtenarten aufgrund des hohen Schwefeldioxidgehalts der Luft zurück. Durch die Minderung von Emissionen breitete sich ein Teil der Arten später wieder aus, andere haben sich von den Bestandseinbußen noch nicht erholt. Aktuell setzen besonders die hohen Stickstoffeinträge aus Industrie und Landwirtschaft den Flechten zu.
Für die Rote Liste der Flechten Deutschlands aus dem Jahr 2011 wurden 1.946 etablierte Flechtenarten, -unterarten und -varietäten bewertet. Es wurden 714, also rund 37 % aller aus Deutschland bekannten Flechten-Taxa (Arten, Unterarten, Varietäten) als bestandsgefährdet eingestuft, weitere 152 sind bereits ausgestorben oder gelten als verschollen. Wie bedenklich die Situation der Flechten insgesamt ist, wird anhand des Anteils ungefährdeter Taxa deutlich: Für nur etwa ein Viertel der in Deutschland vorkommenden Taxa wird eine Gefährdung sicher ausgeschlossen.
Eine Aktualisierung der Roten Liste ist derzeit in Arbeit, eine überarbeitete Referenzliste („Checkliste“) mit mehr als 2.000 Taxa wurde bereits in der Fachzeitschrift Herzogia veröffentlicht.
Viele Pilzarten wachsen nur auf ganz bestimmten Substraten oder Wirten. Einige von ihnen haben sich auf Flechten spezialisiert und werden daher als lichenicol oder flechtenbewohnend bezeichnet. Da Funddaten dieser Arten traditionell eher von Flechten- als von Pilzexperten erhoben werden, wird die Gefährdung der flechtenbewohnenden Pilze gemeinsam in einer Roten Liste mit den Flechten bewertet. Für etwa die Hälfte der Arten reichen aktuell die Daten und Kenntnisse noch nicht aus, um die Gefährdung zu beurteilen. 40 Arten werden in der aktuellen Roten Liste als bestandsgefährdet, weitere 16 als ausgestorben oder verschollen angesehen. 80 Arten sind in Deutschland extrem selten, bei 75 Arten ist von ungefährdeten Beständen auszugehen.
Flechtenähnliche Pilze werden traditionell von der Lichenologie mitbearbeitet und sind deshalb in dieser Roten Liste enthalten. Von ihnen sind 7 Arten ausgestorben oder bestandsgefährdet, für 66 % reicht die Datenlage nicht für eine Einstufung aus.
Wirth, V.; Hauck, M.; Brackel, W. von; Cezanne, R.; Bruyn, U. de; Dürhammer, O.; Eichler, M.; Gnüchtel, A.; John, V.; Litterski, B.; Otte, V.; Schiefelbein, U.; Scholz, P.; Schultz, M.; Stordeur, R.; Feuerer, T. & Heinrich, D. (2011): Rote Liste und Artenverzeichnis der Flechten und flechtenbewohnenden Pilze Deutschlands. – In: Ludwig, G. & Matzke-Hajek, G. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 6: Pilze (Teil 2) – Flechten und Myxomyzeten. – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (6): 7–122.
Die Rote-Liste-Daten sind auch als Download verfügbar.
Im Datenportal Flechten Deutschlands stehen darüber hinaus Beobachtungsdaten, Kartier-/Artenlisten und Verbreitungskarten zur Verfügung.
Eine überarbeitete Checkliste (Stand März 2023) ist bei der Bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa e. V. als Download verfügbar.