Bergzikaden bringen auch bei uns mediterranes Flair auf manchen Südhang. Diese Singzikaden sind zwar leiser als ihre subtropischen Verwandten, ihre Gesänge lohnen aber ein genaues Hinhören: Die Arten lassen sich nämlich am ehesten anhand ihrer charakteristischen Strophen unterscheiden. Für die drei bisher in Deutschland nachgewiesenen Bergzikaden verzeichnet die Rote Liste eine „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“.
Bergzikaden zu beobachten ist nicht leicht, denn die Tiere sind trotz ihrer stattlichen Größe von drei Zentimetern perfekt getarnt. Man kann nur versuchen, ihren Gesang zu lokalisieren und sich in „Ultrazeitlupe“ anzuschleichen. Nähert man sich zu schnell, verstummt der Gesang. Meist ist das Tier dann schon unbemerkt davongeflogen und singt nun aus dem Nachbargebüsch. Das Spiel kann von vorn beginnen....
Die besten Aussichten, die Sänger zu finden, bestehen im Mai oder Juni in lichten, warmen Kiefernwäldern oder auf nach Süden gerichteten Hängen, wo Halbtrockenrasen von einzelnen Weißdorn- oder Schlehenbüschen durchsetzt sind. Bei Sonnenschein nutzen die Zikadenmännchen solche Singwarten, um mit hohen, schwirrenden Lauten Weibchen anzulocken.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich die besondere Ästhetik der Bergzikaden: Kopf, Brust und Beine sind glänzend schwarz, der Hinterleib kontrastreich schwarz-rotbraun gebändert. Die großen transparenten Flügel sind von einem schwarzen Adernetz durchzogen. Den Gesang erzeugen die Männchen übrigens mit einem Trommelorgan im vorderen Bereich des Hinterleibs.
Optisch sind die Arten der Bergzikaden kaum unterscheidbar. Nur wer ihre arttypischen Gesänge kennt, kann sie im Gelände auseinanderhalten: Die Männchen der Echten Bergzikade (Cicadetta montana) produzieren einen bis zu einer Minute anhaltenden, langsam anschwellenden Ton. Bei Cicadetta petryi, die man bis vor wenigen Jahren noch der weiter südlich verbreiteten Gras-Bergzikade (Cicadetta brevipennis) zugeordnet hat, sind die Strophen nur etwa fünf Sekunden lang, enden aber mit einem kurzen, scharfen Einzelton. Die Honigader-Bergzikade (Cicadetta cantilatrix) schließlich trägt in schneller Folge kurze, anschwellende, harte Laute rhythmisch vor: „sssit-sssit-sssit“. Diese drei Bergzikadenarten kommen nach aktuellem Kenntnisstand in Deutschland vor. Für eine genaue Analyse im Rahmen von Kartierungen empfiehlt es sich, die Laute über ein Mikrofon aufzunehmen und mit Hilfe von Sonogrammen und Oszillogrammen auszuwerten. Solche Untersuchungen tragen dazu bei, das noch ungenaue Verbreitungsbild der einzelnen Bergzikaden in Deutschland zu vervollständigen. Die Gesänge der Bergzikaden kann man sich bei Cicadasong anhören
Die Vorkommen von Bergzikaden lassen sich noch auf eine andere Weise belegen, nämlich über Exuvien. Das sind die hellbraunen leeren Larvenhäute, die man im Mai finden kann. Die Larven entwickeln sich unterirdisch und durchlaufen hier über mehrere Jahre hinweg fünf Wachstumsstadien. Schließlich verlassen sie das Erdreich und klettern wenige Zentimeter an Pflanzen in die Höhe. Dann platzt die Larvenhaut, die erwachsene Zikade schlüpft und entfaltet ihre Flügel. Zunächst ist ihr chitinöses Außenskelett noch weich und milchig weiß – es kann einige Stunden dauern, bis sie ausgefärbt und ausgehärtet ist. Erst dann kann sie auch fliegen.
In der Roten Liste der Zikaden Deutschlands werden die drei einheimischen Arten in der Kategorie „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“ geführt. Das liegt daran, dass die Arten noch nicht lange unterschieden werden. Gut dokumentiert ist aber bereits, dass die typischen Lebensräume wie die beschriebenen Halbtrockenrasen stark abgenommen haben. Nutzungsintensivierung, Nährstoffeinträge aus der Luft oder auch Nutzungsaufgabe und nachfolgende Verbuschung zählen zu den Gefährdungsursachen, die sich auf Bergzikaden ebenso wie auf viele andere wärmeliebende Insekten negativ auswirken.
Die diesem Text zugrundeliegenden Beobachtungen und Fotos gelangen auf Kalk-Halbtrockenrasen im Saarland in den überregional bedeutsamen Naturschutzgebieten „Wolferskopf“ und „Badstube Mimbach“.
Ein Beitrag von Dr. Hannes Petrischak
Der Autor ist Zoologe und leitet den Geschäftsbereich Naturschutz der Heinz Sielmann Stiftung.
Weitere Informationen und Rote-Liste-Angaben zu den Bergzikaden – inklusive Bestandssituation, kurz- und langfristiger Bestandstrend – enthalten die Steckbriefe aus der Rote-Liste-Artensuchmaschine zu Cicadetta montana und Cicadetta cantilatrix. Die bis vor wenigen Jahren C. brevipennis zugeordnete Cicadetta petryi ist noch nicht in der Artensuchmaschine aufgeführt, da diese auf die Daten der zuletzt publizierten Rote Liste der Zikaden (2016) zurückgreift.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf. Die Roten Listen Deutschlands werden von Artexperten und Artexpertinnen weitestgehend ehrenamtlich erstellt. Das Rote-Liste-Zentrum ist vom Bundesamt für Naturschutz mit der Gesamtkoordination der Roten Listen und der fachlichen Begleitung betraut.
Publikationen
Hertach, T., Puissant, S., Gogala, M., Trilar, T., Hagmann, R., Baur, H., Kunz, G., Wade, E. J., Loader, S. P., Simon, C. & Nagel, P. (2016): Complex within a complex: Integrative taxonomy reveals hidden diversity in Cicadetta brevipennis (Hemiptera: Cicadidae) and unexpected relationships with a song divergent relative. PLoS ONE 11 (11) e0165562.
Meineke, T. (2012): Bergsingzikaden Cicadetta cantilatrix Sueur & Puissant, 2007, Cicadetta brevipennis Fieber, 1876 und Cicadetta montana s. str. (Scopoli, 1772) im mittleren Deutschland (Auchenorrhyncha, Cicadidae, Cicadettinae). Entomologische Nachrichten und Berichte 56: 133-142.
Mühlethaler, R., Holzinger, W. E., Nickel, H. & Wachmann, E. (2019): Die Zikaden Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim, 358 S.
Gesänge der Bergzikaden und zahlreiche weiterführende Literaturhinweise: Cicadasong
Ein herzlicher Dank für hilfreiche Hinweise gilt Dr. Herbert Nickel.
Rote Liste
Nickel, H.; Achtziger, R.; Biedermann, R.; Bückle, C.; Deutschmann, U.; Niedringhaus, R.; Remane, R.; Walter, S. & Witsack, W. (2016): Rote Liste und Gesamtartenliste der Zikaden (Hemiptera: Auchenorrhyncha) Deutschlands. – In: Gruttke, H.; Balzer, S.; Binot-Hafke, M.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G.; Matzke-Hajek, G. & Ries, M. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 4: Wirbellose Tiere (Teil 2). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (4): 249-298.
Die Rote-Liste-Daten zum Download sind im Downloadbereich des Rote-Liste-Zentrums zu finden.
Echte Bergzikade (Cicadetta montana)
Honigader-Bergzikade (Cicadetta cantilatrix)
Cicadetta petryi