Aus der Parfümerie nicht wegzudenken, in der christlichen Symbolik ein Bild der reinen Liebe und in fantasievollen Geschichten eine tückische Giftpflanze: Um das Maiglöckchen ranken sich viele Traditionen und noch mehr Legenden. Die neuere Forschung sinniert eher über „Spargel- oder Liliengewächs?“. Das Maiglöckchen gilt laut Roter Liste als ungefährdet.
Der intensive Blütenduft des Maiglöckchens geht hauptsächlich auf ein Aldehyd, das Bourgeonal, zurück. Es ist eine wichtige Komponente in der Parfümindustrie, wird aber nicht aus Wildsammlungen gewonnen, sondern von kultivierten Maiglöckchen. In Frankreich hat der Anbau deshalb eine große gewerbliche Bedeutung, zumal es dort auch üblich ist, sich unter Freunden oder Liebenden zum 1. Mai einen Strauß „muguet de mai“ zu schenken. Den bieten Blumengeschäfte oder Marktstände pünktlich und in großen Mengen an.
Die parallelnervigen, glattrandigen, elliptischen Blätter des Maiglöckchens haben etwas Ähnlichkeit mit denen des Bärlauchs, wobei nur der deutlich nach Knoblauch riechende Bärlauch ungiftig ist. Maiglöckchen enthalten hingegen einen starken Giftcocktail – Verwechslungen sollte man deshalb unbedingt vermeiden. Die Inhaltsstoffe, die sich aus Maiglöckchen extrahieren lassen, wurden früher als Medikament genutzt, heute sind sie wegen ihrer schlechten Verträglichkeit kaum noch in Gebrauch. Sie wirken auf Herz und Kreislauf, verursachen bestenfalls nur Übelkeit, Erbrechen und Schwindel, besonders die in Blüten und frischen Beeren höher konzentrierten Glykoside können aber bedrohliche Herzrhythmusstörungen auslösen. Nicht seriös belegt und wohl eher ins Reich der modernen Märchen gehören allerdings Erzählungen, dass das Trinken von Maiglöckchen-Vasenwasser zum Tod leichtsinniger Menschen geführt habe.
Traditionell wurde das Maiglöckchen (Convallaria majalis) in die Familie der Liliengewächse (Liliaceae) gestellt. Die neuere Systematik gliedert diese riesige Familie in mehrere kleinere und betrachtet das Maiglöckchen meist als Mitglied der Spargelgewächse (Asparagaceae). Tatsächlich bildet es als Speicherorgane keine Zwiebeln wie typische Lilien, sondern Rhizome, also horizontale, unterirdische Sprosse. Und die Blüten entwickeln sich nicht wie bei Lilien zu Kapselfrüchten, sondern zu Beeren. Auch Spargel trägt erbsengroße, knallrote Beeren, wenn man ihn wachsen, blühen und fruchten lässt.
Der Gattungsname Convallaria leitet sich vom mittelalterlichen Pflanzennamen Lilium convallium, also „Lilie der Täler“ ab, und majalis bezieht sich auf den Blühmonat Mai. Der Blütenstand ist eine aus bis zu 15 Einzelblüten bestehende, einseitswendige Traube.
In der alten Pflanzensymbolik steht das Maiglöckchen wegen der nach unten gesenkten weißen Blüten für keusche Liebe, Bescheidenheit und Demut. Schon seit dem frühen Mittelalter ist es eine der klassischen Marienpflanzen. Mehr zur Kulturgeschichte des Maiglöckchens im Interview von Detlev Arens mit Dr. Günter Matzke-Hajek vom Rote-Liste-Zentrum im WDR 3-Hörfunk am 18.5.2022.
Die Blüten werden von sechs glockig miteinander verwachsenen Perigonblättern gebildet, sind also von keinem grünen Kelch eingehüllt. Die 6-Zahl ist an den kurzen, nach außen gekrümmten Zipfeln gut erkennbar. Insekten, z. B. Bienen und Fliegen, sieht man nur selten an den Blüten. Sie werden durch den Duft und die weiße Farbe angelockt, finden aber keinen Nektar. Immerhin können einige mit ihrem Rüssel das weiche, saftige Gewebe innen am Grund der Blüte anstechen und dort etwas Flüssigkeit aufnehmen. Dabei werden sie mit herabrieselndem Pollen bepudert, den sie an der Narbe einer anderen Blüte abstreifen.
Maiglöckchen sind in gemäßigten und kühlen Breiten der Nordhalbkugel verbreitet. Dabei sind sich die Fachleute nicht einig, ob es sich in Nordamerika und Ostasien um andere geografische Unterarten handelt als beim europäischen Maiglöckchen oder um eigene Arten. Äußerlich unterscheiden sich die Pflanzen rund um den Globus jedenfalls nur wenig. In Deutschland besiedelt die Art mäßig nährstoff- und basenreiche, meist kalkarme, humose Lehmböden. Besonders gut gedeiht sie in Buchen- und Eichen-Hainbuchenwäldern, in die im Frühjahr noch lange Licht eindringt. Dort bildet das Maiglöckchen nicht selten ausgedehnte Teppiche, die sich durch vegetative Vermehrung gebildet haben.
In der deutschen Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen ist das Maiglöckchen als „ungefährdet“ eingestuft, denn es ist sehr häufig und zeigt überregional keinen Rückgang. Allerdings sind nicht alle Vorkommen sicher „wild“, denn das Maiglöckchen ist eine beliebte Gartenpflanze. Vielerorts, in siedlungsnahen Wäldern, dürfte es Populationen geben, die auf mit Gartenabfall entsorgtes Pflanzgut zurückgehen. Wenn solche Verwilderungen länger zurückliegen, sieht man ihnen nicht mehr an, dass hier der Mensch im Spiel war.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf.
Weitere Informationen zur Rote-Liste-Bewertung des Maiglöckchens – inklusive Bestandssituation, kurz- und langfristiger Bestandstrend – enthält der Steckbrief aus unserer Artensuchmaschine.
Metzing, D.; Garve, E. & Matzke-Hajek, G. (2018): Rote Liste und Gesamtartenliste der Farn- und Blütenpflanzen (Trachaeophyta) Deutschlands. – In: Metzing, D., Hofbauer, N., Ludwig, G. & Matzke-Hajek, G. (Bearb.): Rote Liste der gefährdeten Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands. Band 7: Pflanzen. – Bonn (Bundesamt für Naturschutz). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (7): 13–358.
Die Rote-Liste-Daten stehen zum Download zur Verfügung.