Wenn die kleine Schlafmaus mit der auffälligen schwarzen Kopfmaske erst im späten Frühjahr wieder erwacht, hat das etwas mit ihrem Speiseplan zu tun – und dass ihr ein Stück Darm fehlt. Er wurde von der Deutschen Wildtierstiftung zum Tier des Jahres 2023 gewählt.
Von den weltweit heute bekannten ca. 5.500 Säugetierarten sind ca. 2.300 Nagetiere, die damit die größte Ordnung dieser Klasse stellen. Nur 30 Arten davon gehören zu den Schläfern oder Bilchen.
Trotz ihres unterschiedlichen Aussehens haben diese eine Gemeinsamkeit: Im Gegensatz zu allen anderen Nagetieren haben die Schläfer keinen Blinddarm. Bei den anderen Nagetieren, und auch den Hasenartigen, leben im Blinddarm Symbiosebakterien, die ihren Wirtstieren die Verwertung von Zellulose als Nahrung ermöglichen. Hierzu wird alle paar Tage ein sogenannter Blinddarmkot abgesetzt, der wieder gefressen wird – ein Vorgang, der der Funktion des Wiederkäuens bei Paarhufern entspricht.
Die Schläfer, die älteste noch lebende Nagetiergruppe, müssen sich daher von anderen Quellen, wie Insekten, anderen Wirbellosen oder fettreichen Samen ernähren. Das Fehlen des Blinddarms ist der Grund für das monatelange Schlafen der Bilche in den gemäßigten Zonen: Während der Zeit des Jahres, in der keine Nahrung zur Verfügung steht, müssen die Tiere ihre Stoffwechselrate extrem reduzieren, um zu überleben – sie „schlafen“. Hierbei wird die Körpertemperatur bis auf wenige Grad über den Gefrierpunkt abgesenkt und die Herzfrequenz, die normalerweise bei ca. 350 Schlägen pro Minute liegt, auf zwei Schläge pro Minute gesenkt. Dadurch wird nicht nur Energie gespart, sondern es werden auch die Organe geschont. Schläfer erreichen so ein viel höheres Alter als andere Nagetiere gleicher Größe, die während des gesamten Jahres aktiv sind.
Der Gartenschläfer (Eliomys quercinus) ist eine von vier in Deutschland lebenden Schläferarten. Er kommt ausschließlich in Europa vor. Sein Verbreitungsgebiet ist während der letzten 50 Jahre um fast die Hälfte geschrumpft, ohne dass Gründe für diesen dramatischen Rückgang wirklich bekannt wären. Mehr als 10 % der Vorkommensgebiete des Gartenschläfers liegen in Deutschland, weshalb Deutschland weltweit eine besondere Verantwortung dafür hat, diese Art zu erhalten.
Der Gartenschläfer kommt in Deutschland sowohl als Kulturfolger – sogar in Städten entlang der Rheinschiene von Köln an südwärts – als auch als Kulturflüchter in den von Blockschutthalden geprägten Hochlagen der Mittelgebirge, z. B. im Harz und im Fichtelgebirge, vor.
Der Rückgang einer Art, die so unterschiedliche Lebensräume zu besiedeln vermag, ist rätselhaft. Er ist in den Roten Liste der Säugetier Deutschlands als "Stark gefährdet" aufgeführt. In Sachsen gilt der Gartenschläfer seit 2007 als ausgestorben, sein dortiger Rückgang deutete sich bereits vor 150 Jahren an. Der Gartenschläfer ist zwar besonders geschützt, wird aber nicht in den Anhängen der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geführt, weshalb ihm bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Um den Gründen seines Rückgangs auf die Spur zu kommen und um Hilfsmaßnahmen zu entwickeln, wird seit Ende 2018 im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt das Projekt „Spurensuche Gartenschläfer“ von BUND, der Justus-Liebig-Universität Gießen und dem Fachgebiet Naturschutzgenetik der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung durchgeführt. Das Projekt wird durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert.
Inzwischen hat das Projekt Erkenntnisse gewonnen, welche Faktoren dem Gartenschläfer zusetzen.
Als erste Schutzmaßnahme kann dem Gartenschläfer bereits jetzt geholfen werden, z. B. durch den Verzicht auf Gift in seinen Vorkommensgebieten. Regentonnen sollten abgedeckt werden, um zu verhindern, dass Gartenschläfer und andere Tiere darin ertrinken. Spezielle Nistkästen können dem Gartenschläfer Versteck- und Ruheplätze bieten.
Ein Beitrag von Holger Meinig.
Der Zoologe ist Säugetier-Spezialist sowie Erstautor und Koordinator der Roten Liste der Säugetiere Deutschlands 2020. Weitere Tätigkeiten: Mitarbeit an den Roten Listen der IUCN für Europa (EMMA 2007) und des Mittelmeerraumes (2008), Koordination und Mitarbeit an den Checklisten und Roten Listen Säugetiere Deutschland (2009) und NRW (2011).
Weitere Informationen zur Rote-Liste-Bewertung des Gartenschläfers – inklusive Bestandssituation, kurz- und langfristiger Bestandstrend sowie Verantwortlichkeit Deutschlands für die weltweite Erhaltung dieser Art – finden Sie im Steckbrief.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf.
Meinig, H.; Boye, P.; Dähne, M.; Hutterer, R. & Lang, J. (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste der Säugetiere (Mammalia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (2): 73 S.
Rote Listen zum Download
Rote-Liste-Kategorie: Stark gefährdet