Für einige extrem seltene Arten wie z. B. für die Greise Rabaukenfliege ist unklar, ob die in der Vergangenheit in Deutschland beobachteten Tiere unbeständige Gäste oder Vertreter einheimischer Populationen waren. Eine gezielte Nachsuche an früheren Beobachtungsorten soll dazu beitragen, diese Frage zu beantworten.
Nachweise der vorwiegend in Osteuropa einheimischen Greisen Rabaukenfliege (Holopogon priscus) gelangen in Deutschland bisher nur im Naturschutzgebiet „Oderberge bei Lebus“ (Brandenburg), und zwar im Jahr 1992. Seither gab es keine weiteren Beobachtungen. Zur Vorbereitung der nächsten Roten Liste der Raubfliegen (Diptera: Asilidae) Deutschlands hatte das Rote-Liste-Zentrum deshalb im Sommer 2020 den Fliegen-Spezialisten Tommy Kästner mit einer gezielten Nachsuche beauftragt.
Bei der aktuellen Suchaktion wurde die Art am historischen Fundort trotz wiederholter Begehungen zur passenden Jahreszeit und bei günstiger Witterung nicht entdeckt, ebenso wenig im direkten Umfeld: „Möglicherweise waren die vor 28 Jahren beobachteten Tiere nur unbeständige Besucher“, erklärt Tommy Kästner, „wie wir das in der nächsten Roten Liste der Raubfliegen berücksichtigen, werden wir im Zusammenhang mit weiteren Daten beurteilen“.
Auch wenn die aktuelle Suche nach der Greisen Rabaukenfliege negativ verlief, konnte Tommy Kästner im Naturschutzgebiet Oderberge andere in Deutschland gefährdete Raubfliegen nachweisen:
Die ausführlichen Ergebnisse werden in Kürze in einer Fachzeitschrift veröffentlicht.
Die Raubfliegen-Nachsuche konzentrierte sich auf den historischen Fundort im heutigen Naturschutzgebiet „Odertal Frankfurt-Lebus mit Pontischen Hängen Oderberge“. Dort wurden geeignete Stellen begangen und sowohl fliegende Tiere registriert als auch die typischen Ansitzwarten von Raubfliegen in der Vegetation abgesucht. Rücksichtnahme auf Fortpflanzungs- und Ruhestätten und größtmögliche Schonung der Vegetation war Voraussetzung dafür. Die erforderlichen Genehmigungen wurden zuvor bei der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises eingeholt. Da einige Arten nur „in der Hand“ bestimmt werden können, wurden auch Tiere mit einem Kescher gefangen, fotografiert und anschließend wieder freigelassen.
Die meisten Raubfliegen bevorzugen offene oder halboffene Lebensräume mit leicht erwärmbaren Böden wie Dünen, Heiden, Magerrasen oder Kahlschläge. Sie nutzen Baumstämme oder dürre Zweige gerne als Startplätze bei der Jagd. Ähnlich wie Libellen fangen Raubfliegen nämlich andere Insekten, um sich von ihnen zu ernähren. Nur ausnahmsweise setzen sie ihren kurzen Stechrüssel zur Verteidigung ein und nur wenige Arten könnten damit die menschliche Haut durchdringen.
Raubfliegen sind überwiegend schlanke, aber meist kräftige Fliegen mit langen Beinen. Einige größere Arten sind dicht behaart und erinnern mit ihrem schwarz-gelben Hinterleib an Hummeln oder Hornissen. Charakteristisch sind ihre oft „bärtigen“ Gesichter und die borstigen Beine.
Viele Raubfliegen erhielten erst in jüngster Zeit einen deutschen Namen, oft wurden dafür markante Merkmale herangezogen. So ist bei der Greisen Rabaukenfliege die Körperbehaarung auffallend weiß und erinnert an das graue Haar alter Menschen. Die Berserkerfliege besitzt ein besonders kräftiges Erscheinungsbild, die Weibchen der Goldafterfliegen haben eine auffällige Behaarung am Hinterleib und bei den Kerbzangen-Raubfliegen ist der Geschlechtsapparat des Männchens namensgebend. Mehr dazu bei www.asilidae.de.
Weltweit sind rund 7.400 Raubfliegenarten bekannt. In Deutschland kommen jedoch deutlich weniger als 100 Arten vor. Die Rote Liste der Raubfliegen Deutschlands aus dem Jahr 2011 bewertete 81 Arten. Davon sind rund 38 % bestandsgefährdet, weitere 3 Arten (4 %) sind in Deutschland bereits ausgestorben oder verschollen und 6 % der Arten sind extrem selten.
Die Ursachen für die Rückgänge der gefährdeten Arten sind hauptsächlich die Verluste oder nachteiligen Veränderungen ihrer Lebensräume durch das Aufgeben der extensiven Nutzung, durch Sukzession oder die Aufforstung mit stark schattenden Baumarten. Daneben könnte die Abnahme an Beutetieren durch den allgemeinen Insektenrückgang eine Rolle spielen.
Im Zuge der vorbereitenden Arbeiten der Roten Listen Deutschlands setzt das Rote-Liste-Zentrum neben dem Zusammenführen von verfügbaren Nachweisdaten auf gezielte Nachsuchen. Solche zielgerichteten Kartierungen sind immer dann sinnvoll, wenn es zu ausgewählten Arten seit Jahrzehnten keinerlei aktuelle Daten gibt. In solchen Fällen ist unklar, ob diese Arten ausgestorben, vom Aussterben bedroht, extrem selten oder stark gefährdet sind. Für eine Klärung untersuchen Expert*innen der jeweiligen Artengruppen an bekannten früheren Fundorten oder in potentiell geeigneten Lebensräumen, ob die Zielart dort noch vorkommt oder nicht. Diese Strategie hat sich als sehr effektiv erwiesen und führt zu einer deutlich verbesserten Datenlage. Damit lässt sich die Aussagekraft der Roten Listen weiter steigern.
Nicht selten ist das Ergebnis der Nachsuchen negativ. Aber auch das ist ein wichtiges Resultat, zeigt es doch, dass ein effektiver Habitatschutz unverzichtbar ist, um dem Aussterben von weiteren Tier-, Pflanzen- und Pilzarten in Deutschland entgegenzuwirken.