Der Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer ist eine der seltensten der rund 6.800 deutschen Käferarten. Nicht ohne Grund gilt er als Urwaldrelikt und wird in der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ geführt. Trotz intensiver Forschung hat ihn kaum ein Wissenschaftler je zu Gesicht bekommen, nicht einmal an bekannten Fundorten. Das liegt zum einen an seiner Seltenheit, vor allem aber an der versteckten Lebensweise und an den speziellen ökologischen Ansprüchen. Ein Trick kann aber helfen, den Käfer aufzuspüren: Katzenfutter!
Der Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer ist unsere Art des Monats März.
Der etwa 11 mm lange Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer ist aufgrund seiner blau-violett schimmernden Flügeldecken mit keiner anderen Schnellkäferart in Deutschland zu verwechseln.
Foto: Frank Köhler
Seine deutsche Bezeichnung klingt reichlich kompliziert, verrät aber schon eine Menge über den Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfer (Limoniscus violaceus): Das „Veilchenblau“ ist schnell erklärt, denn die schimmernd blauen bis violetten Flügeldecken erinnern farblich an eine dunkle Veilchenblüte. Der „Wurzelhals“ im Namen klingt zunächst wie der Grund für eine schmerzhafte Zahnbehandlung, ist aber ein Hinweis auf die hochspezialisierte Lebensweise des Käfers: Der Wurzelhals ist der bodennahe Übergang von den Wurzeln zum Stamm eines Baumes, und genau dort lebt die Larve des Käfers, genauer gesagt in den mit Mulm gefüllten Höhlungen des Stammfußes.
Für die Entstehung solcher Baumhöhlen braucht es nicht nur Jahrzehnte, sondern auch die Untätigkeit des Menschen. In unseren Wirtschaftswäldern ist die Art deshalb nicht zu finden. Aktuell kennen wir in ganz Deutschland nicht einmal mehr ein Dutzend Vorkommen. Diese sind zudem meist vollkommen voneinander isoliert. Allen Fundorten gemeinsam sind urwaldähnliche Laubbaumbestände mit dutzenden hohlen Bäumen. Aufgrund dessen zählt die Art zu den so genannten Urwaldrelikten. Das sind Käfer, die auf strukturreiche urwaldähnliche Baumbestände mit einer langen und ungebrochenen Habitattradition angewiesen sind.
Und „Schnellkäfer“? Charakteristisch für diese Käferfamilie ist nicht etwa, dass sie die 100 Meter in unter zehn Sekunden laufen könnten. Vielmehr handelt es sich um die Fähigkeit, sich mit Hilfe eines Sprungapparates bei Gefahr selbst in die Luft zu katapultieren. Beim Hochschnellen ist ein knipsendes Geräusch zu vernehmen, weshalb sie im Englischen auch „click beetles“ genannt werden.
Die Art ist aufgrund ihres kaum mehr vorhandenen Lebensraums nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa so stark gefährdet, dass sie es bis auf die Bühne höchster europäischer Politik geschafft hat. So wird sie in der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) der Europäischen Union (EU) aufgelistet. Darin sind seltene und schützenswerte Arten enthalten, für die besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen, da die Gefahr besteht, dass ihre Vorkommen ansonsten für immer verloren gehen. Der Zustand bekannter Populationen muss darüber hinaus in den Mitgliedsstaaten der EU regelmäßig überprüft und berichtet werden.
Häufig sind Stammfußhöhlen nicht so deutlich zu erkennen wie hier. Mitunter sind die Eingänge in hohle Bäume in Form von kleinen Löchern oder Ritzen sogar sehr versteckt.
Foto: Jonas Köhler
Beim Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfer ist das äußerst schwierig. Wie sucht man eine Art, die sich tief in Baumhöhlen versteckt? Bisherige Nachweismethoden wie Boden- oder Flugfallen an hohlen Bäumen waren nicht nur wenig effektiv, sondern hatten bei einem erfolgreichen Nachweis den Tod des seltenen Käfers zur Folge. Die herkömmliche Suche per Hand und Auge an hohlen Bäumen ist sogar fast aussichtslos, da sich die Larven tief unten im Mulm verbergen und auch erwachsene Käfer meist versteckt leben. Durch den Einsatz von Katzenfutter sind die Chancen für Nachweise jetzt besser!
Die Larven des Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfers ernähren sich größtenteils karnivor, jagen als Fleischfresser also andere Kleinstorganismen im Mulm. Diesen Umstand machen sich Käferkundige mit sogenannten Larvenköderbechern zu nutze. Kleine Behälter werden mit Mulm aus der Baumhöhle und ein paar Bröckchen Katzenfutter gefüllt. Dann werden die Becher im Mulm ein- und nach ein paar Tagen wieder ausgegraben. An den Ködern, dem Katzenfutter, finden sich nun je nach Besiedlung der Baumhöhle wenige bis hunderte Larven, größtenteils die von Schnellkäfern. Da nicht nur der Nachwuchs des Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfers, sondern auch andere karnivore Käferlarven auf Katzenfutter stehen, folgt jetzt noch die Artbestimmung per Lupe. Glücklicherweise ist die Larve der gesuchten Art mit einiger Übung schon im Gelände zu erkennen und von anderen Schnellkäferlarven zu unterscheiden. Schnell noch ein Belegfoto gemacht und die Tierchen können wieder wohlauf in den Mulm der Baumhöhle entlassen werden.
Durch den Einsatz von Larvenköderbechern konnten die Kenntnisse zu Populationsgrößen in Wäldern mit bekannten Vorkommen deutlich verbessert und einige neue Brutbäume der Art gefunden werden. Somit kann man zumindest mancherorts davon ausgehen, dass der Käfer ausreichend große Populationen zum Überleben ausbildet, sofern die besiedelten Gebiete weiter von menschlicher Nutzung ausgeschlossen bleiben und Bäume mit Stammfußhöhlen nachkommen können. Bestandsrisiken lassen sich aber nur minimieren, wenn eine Wiederausbreitung der Art stattfinden kann. Dies scheint solange ausgeschlossen, wie die wenigen bekannten Vorkommen vollständig von Wirtschaftswäldern ohne Altbäume umgeben und damit voneinander isoliert sind. Trotz der neuen Erkenntnisse zu lokalen Populationsgrößen steht die Art deshalb bei uns weiterhin am Rande des Aussterbens.
Ein Beitrag von Jonas Köhler
Der studierte und freiberufliche Biologe ist Spezialist für die heimische Käferfauna. Er bestimmt Käfer für Monitoring-Projekte in ganz Deutschland und hat zahlreiche Wälder auf ihre Käferfauna hin untersucht. Darüber hinaus ist er an der Erstellung der Roten Liste der wasserbewohnenden Käfer Deutschlands beteiligt. Weitere Informationen zu und Publikationen von Jonas Köhler: Researchgate
(Artikel erstellt am 5. März 2025)
Der Larvenköderbecher (links) lockt karnivore Insektenlarven aus dem Mulmkörper eines hohlen Baumes an. Neben der Larve des Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfers lassen sich damit auch weitere Schnellkäferlarven, darunter Dutzende des ebenfalls vom Aussterben bedrohten Bluthalsschnellkäfers (Ischnodes sanguinicollis) aufspüren (rechts).
Foto: Jonas Köhler