Anders als die Honigbiene baut die Frühlings-Seidenbiene ihre Nester nicht mit Wachs, sondern kleidet die Kinderstube mit einer durchsichtigen „Seidentapete“ aus. Die Frühlings-Seidenbiene wurde kürzlich von einem Kuratorium zur Wildbiene des Jahres 2023 gewählt.
„Habitat in terra sabulosa“, zu Deutsch: sie wohnt in sandiger Erde – so schrieb der Naturforscher Carl von Linné vor mehr als 260 Jahren über die Frühlings-Seidenbiene. Die Art taufte er auf den wissenschaftlichen Namen Apis cunicularia, was übersetzt so viel wie „Kaninchenartige Biene“ bedeutet. Wahrscheinlich sahen die winzigen Nesteingänge für ihn aus wie die Bauten einer Kaninchenkolonie. Heute gehört die Art zur Gattung der Seidenbienen und ihr korrekter Name lautet Colletes cunicularius. Dutzende von Nesteingängen können auf einem einzigen Quadratmeter nebeneinanderliegen – es herrscht also Betriebsamkeit in der Kolonie. Trotzdem sind die Tiere keine sozialen Insekten, denn sie bauen weder Gemeinschaftsnester noch kennen sie Arbeitsteilung. Wie fast alle Wildbienen gehören sie zu den Solitärbienen.
Die mittelgroße Biene misst nur 11-14 mm. Jedes Weibchen gräbt eigene Neströhren für bis zu sechs Nachkommen, sammelt darin „Babybrei“ in Form eines Pollen-Nektar-Gemischs und legt jeweils ein Ei an die genau bemessenen Futter-Portionen.
Anders als Honigbienen bauen Seidenbienen nicht mit Wachs. Stattdessen bespannen sie die winzigen Einzelzimmer ihres Nestes mit einer durchsichtigen Seidentapete. Aus einer Drüse am Hinterleib scheidet die weibliche Biene den flüssigen Grundstoff aus. Während sie diesen mit den Mundwerkzeugen auf der Wand verstreicht, sorgen Enzyme aus ihrem Speichel dafür, dass sich die molekularen Bausteine in langen Ketten anordnen und dabei zu einem elastischen Gewebe gerinnen. Es stabilisiert nicht nur die Wände, sondern schützt auch vor Nässe und Schimmel. Gut geborgen wachsen die Larven darin bis zum Herbst zu erwachsenen Bienen heran. Sie verbleiben aber noch bis zum folgenden Frühjahr in ihren engen Kinderzimmern.
Erst wenn die Märzsonne den Boden erwärmt, arbeiten sich die Jungbienen ins Freie. Die Männchen schlüpfen zuerst und warten dann ungeduldig auf das Erscheinen der jungen Weibchen. Dank ihrer feinen Sinne erspüren sie exakt, wo eine Bienendame auftauchen wird. Oft stürzen sich mehrere Männchen auf sie und bilden eine so genannte „Paarungskugel“.
Während andere Seidenbienenarten Sommertiere sind und erst durch die Gegend summen, wenn ein vielfältiges Blütenangebot besteht, fliegt die Frühlings-Seidenbiene zwischen Mitte März und Ende April. Ihre Flugphase ist genau mit der Blüte von Sal-Weide, Grau-Weide und den anderen Weidenarten synchronisiert: Die Tiere sind auf Pollen und Nektar dieser Sträucher spezialisiert. Wenn deren Blütenkätzchen nichts mehr hergeben, beenden auch die Seidenbienen ihre Vorsorge für die nächste Generation.
Die ursprünglichen Lebensräume der Frühlings-Seidenbienen waren die Hochufer und Sandaufwehungen unregulierter Flüsse. Seit diese begradigt und ihre Ufer befestigt sind, fehlen solche Habitate. Die Wildbiene des Jahres ist jedoch eine ausgesprochene Pionier-Art: Sie ist in der Lage, neu entstehende Lebensräume zu besiedeln. Am häufigsten findet man die Tiere deshalb heute in aufgegebenen Kies- oder Sandgruben. Aber selbst in Ortschaften kann man die Art heute antreffen: Manchmal reicht ihr schon ein wenig benutzter sandiger Sportplatz oder ein vergessener Sandkasten.
Die Frühlings-Seidenbiene gilt in Deutschland als „mäßig häufig“, sie wurde in der Roten Liste und Gesamtartenliste der Bienen Deutschlands in die Kategorie „Ungefährdet“ eingestuft.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf.
Das Kuratorium „Wildbiene des Jahres“ wählt seit 2013 jährlich eine besonders interessante Wildbienenart aus. Sie soll dazu ermuntern, in die Natur zu gehen und das Tier in seinem Lebensraum zu beobachten. Das Kuratorium ist beim Arbeitskreis Wildbienen-Kataster Baden-Württemberg angesiedelt, einer Sektion des Entomologischen Vereins Stuttgart 1869 e.V. am Naturkundemuseum Stuttgart.
Weitere Informationen
(Stand Februar 2011)
Westrich, P.; Frommer, U.; Mandery, K.; Riemann, H.; Ruhnke, H.; Saure, C. & Voith, J. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Bienen (Hymenoptera: Apidae) Deutschlands. – In: Binot-Hafke, M.; Balzer, S.; Becker, N.; Gruttke, H.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G.; Matzke-Hajek, G. & Strauch, M. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3): 373–416.
Die aktuellen Rote-Liste-Daten sind auch als Download verfügbar.