Klingt merkwürdig, stimmt aber, wenn man Eulenfalter meint, die mit ihrem Saugrüssel den Nektar aus den Blüten der Weidenkätzchen saugen. Tagsüber wird man die Olivgrüne Schmuckeule kaum entdecken, denn wie die meisten Eulenfalter ist sie nachtaktiv. Obendrein sorgt die moosgrüne und braune Färbung für eine gute Tarnung, wenn der Falter im Geäst ruht.
Die Olivgrüne Schmuckeule (Valeria oleagina) ist eine Frühlingsart, die im März und April fliegt; sie ist auf die zu dieser Jahreszeit verfügbaren Nahrungsquellen angewiesen.
Das sind hauptsächlich Weidenkätzchen und die ebenfalls früh aufblühenden Schlehen. Zur Schlehe (Prunus spinosa) hat die Schmuckeule ein besonders inniges Verhältnis, denn die ist zugleich die Nahrung ihrer Raupen. Aber nicht jede x-beliebige Schlehe ist geeignet. Ähnlich wie der Segelfalter und der Kleine Schlehenzipfelfalter, die nur einzeln stehende und niedrige Gebüsche besuchen, bevorzugt die Schmuckeule warmtrockene Standorte wie die Gebüschsäume von Halbtrockenrasen, aufgelassene Weinberge und naturnahe Felshänge. Hier sind es oft niedrige Krüppelschlehen, an denen sich die Raupen entwickeln. Nur in Lebensräumen mit günstigem Mikroklima kann der Falter auch größere Gebüsche nutzen. Ein dichter Flechtenbewuchs der Äste ist von Vorteil; er bietet der Raupe Versteckmöglichkeiten.
Die Raupen wachsen im Mai heran und verpuppen sich im Juni. Besonders interessant sind die Kokons, die sie vor der Verpuppung zwischen Steingeröll und Erde anlegen. Es sind doppelwandige Gebilde, in denen zwischen der äußeren und inneren Gespinstwand mehrere Rippen eingesponnen werden. Diese Konstruktion dürfte der Regulierung von Temperatur und Feuchtigkeit dienen, denn die Puppen ruhen acht Monate im Kokon und müssen in ihrem ohnehin trockenwarmen Lebensraum extreme Temperaturschwankungen überdauern.
Das Verbreitungsgebiet der Olivgrünen Schmuckeule reicht von der Iberischen Halbinsel durch Südeuropa und Vorderasien bis zum Iran. In Mitteleuropa ist sie nordwärts bis in warme Mittelgebirgslagen vorgestoßen; im nördlichen Tiefland fehlt sie. Heute kommt die Art in Deutschland nur noch sehr lokal im Mittelrhein-Mosel-Nahe-Gebiet, in Mainfranken, Thüringen und Sachsen-Anhalt vor. Sie ist in der Roten Liste der Eulenfalter, Trägspinner und Graueulchen Deutschlands (2011) als „sehr selten“ und „stark gefährdet“ eingestuft.
Ehemals war sie aber weiter verbreitet, etwa in den Hügelzonen entlang der Oberrheinebene, im Neckarbecken, im Fränkischen Jura um Regensburg, im Ahrtal und an einigen anderen Stellen. In all diesen Gebieten ist sie im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts verschwunden und hat damit mehr als die Hälfte ihrer ehemaligen Standorte eingebüßt. Man hat diesen Rückgang mit der Abholzung thermophiler Schlehengebüsche zu erklären versucht, aber diese Hypothese überzeugt nicht, weil sich manche ihrer ehemaligen Flugstellen – zumindest für unsere Augen – kaum verändert haben.
Nahe verwandt ist die Jaspis-Schmuckeule (Valeria jaspidea), die in Deutschland eine noch enger begrenzte Verbreitung hat und ebenfalls stark zurückgegangen ist. Die Falter unterscheiden sich von der Olivgrünen Schmuckeule lediglich durch eine ausgeprägtere dunkle Zeichnung im weißen Nierenfleck. Die Raupen beider Arten sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Darum sind unbelegte alte Fundmeldungen, vor allem wenn sie nur auf Raupenfunden beruhten, nicht immer zuverlässig zuzuordnen. Die historische Verbreitung beider Arten weist daher einige Fragezeichen auf.
Erstaunlicherweise ist die Olivgrüne Schmuckeule in den letzten fünf Jahren wieder häufiger beobachtet worden. Beim Lichtfang, der effektivsten Nachweismethode für Nachtfalter, konnten an manchen Stellen Dutzende von Faltern registriert werden. Es ist noch ungewiss, ob diese Häufigkeitszunahme ein Trend ist, der sich fortsetzen wird, oder ob es sich nur um eine kurzfristige Erholungsphase handelt. Möglicherweise gehört die Art zu den „Klimawandel-Gewinnern“ und vielleicht gelingt es ihr dann sogar, wieder in Gebiete zurückzukehren, in denen sie früher ansässig war.
Ein Beitrag von Axel Steiner
Axel Steiner ist Co-Autor des Bestimmungsbuchs „Die Nachtfalter Deutschlands“ und Vorstandsmitglied des Internetportals Lepiforum e.V. Er arbeitet als freiberuflicher Entomologe und war in verschiedenen Schmetterlings-Projekten an den Naturkundemuseen Stuttgart und Karlsruhe tätig. Für das Rote-Liste-Zentrum koordiniert er die in Vorbereitung befindliche Rote Liste der Eulenfalter, Schwärmer und Spinner Deutschlands.
Axel Steiner schreibt über Schmetterlinge auf Lepiblog und ist bei Instagram unter @_mothhunter zu finden.
Wachlin, V. & Bolz, R. (2011): Rote Liste und Gesamtartenliste der Eulenfalter, Trägspinner und Graueulchen (Lepidoptera: Noctuoidea) Deutschlands. – In: Binot-Hafke, M.; Balzer, S.; Becker, N.; Gruttke, H.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G.; Matzke-Hajek, G. & Strauch, M. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (3): 197-239.
Die Rote Liste-Daten stehen zum kostenfreien Download zur Verfügung.