Beim Namen „Graues Langohr“ zuerst an einen Esel zu denken, wäre naheliegend. Aber hier geht es nicht um die alternative Bezeichnung für ein Huftier – das Graue Langohr (Plecotus austriacus) ist der ganz offizielle Name einer einheimischen Fledermausart. Doch anders als sein vierbeiniger Namensvetter ist diese Fledermaus „Vom Aussterben bedroht“.
Auffälligstes Merkmal des schwarzäugigen Fledertieres sind seine fast körperlangen Ohrmuscheln. Diese besitzen knapp 20 ziehharmonikaartige Querfalten, die es dem Tier erlauben, die empfindlichen Schalltrichter im Flug nach vorn oben zu strecken oder nach dem Landen halb zusammengefaltet nach hinten zu legen. In dieser Stellung erinnern sie dann eher an die Hörner einer Ziege. Winterschlafende Tiere schieben die Ohren sogar komplett unter die Flügel, wodurch die Gefahr von Erfrierungen gebannt ist. Der Gattungsname Plecotus – übersetzt bedeutet er „Flechtohr“ – spielt auf das regelmäßige Faltenmuster der Ohrmuscheln an.
Das Graue Langohr hat in Mitteleuropa einen häufigeren Doppelgänger, das Braune Langohr (Plecotus auritus), von dem es äußerlich nur mit einiger Erfahrung zu unterscheiden ist: Trennende Merkmale sind neben der Haarfarbe bestimmter Körperpartien beispielsweise die Länge der Daumen – lang beim Braunen, kurz bei beim Grauen Langohr. Zur Unterscheidung der Männchen hilft ein Blick auf den Penis: Beim Grauen Langohr ist er zur Spitze hin deutlich breiter als bei der Zwillingsart. Sicher unterscheiden lassen sich die Arten auch an Zahn- und Schädelmerkmalen, die allerdings bei lebenden Tieren kaum geprüft werden können.
Für seine Jagd bevorzugt das Graue Langohr die bäuerliche Kulturlandschaft mit von Hecken und Einzelbäumen gegliederten Wiesen, Weiden, Brachen und Streuobstbeständen, es jagt aber auch mitten in Siedlungsgebieten. Die Tagesverstecke und Wochenstuben der Weibchen befinden sich ganz überwiegend in Dachstühlen alter Gebäude. So wundert es nicht, dass das Graue Langohr in Deutschland eine typische, allerdings sehr seltene Dorffledermaus ist, die in reinen Waldgebieten praktisch fehlt.
Hinsichtlich seiner Jagdstrategien fährt die Art „zweigleisig“: Zum einen fangen die Tiere Nachtfalter und andere Fluginsekten mithilfe der fledermaustypischen Ultraschall-Echoortung, wobei sie meist langsam gaukelnd und in niedriger Höhe unterwegs sind. Zum andern können sie mit ihrem extrem empfindlichen Gehör die Krabbel- und Fressgeräusche von Insekten wahrnehmen, die nachts auf dem Laub von Pflanzen unterwegs sind. Dort sammeln sie diese dann gezielt ab. Da beispielsweise Obstgärten und die offene Viehhaltung zurückgehen, hat sich die Zahl der Insekten allerdings deutlich verringert.
Im Oktober wechseln die Grauen Langohren in ihre Winterquartiere – Höhlen und Stollen oder alte, ungenutzte Keller. Diese liegen meist nicht weit von ihren Sommerlebensräumen entfernt. Graue Langohren gehören jedenfalls nicht zu den wandernden Fledermausarten.
In der aktuellen Roten Liste der Säugetiere Deutschlands ist das Graue Langohr als „Vom Aussterben bedroht“ eingestuft – in der letzten Roten Liste aus dem Jahr 2009 war die Art noch „Stark gefährdet“. Die fortgesetzten Rückgänge sind neben dem Nahrungsmangel im Verlust von Quartieren durch Gebäudesanierungen begründet. Weiterhin führt die nächtliche Beleuchtung von Kirchen und historischen Hofanlagen bei den Tieren zu starken Störungen. Die lichtscheuen Tiere geben solche Verstecke oft auf, zumal sie dort zu einer leichten Beute für Eulen werden können.
Das Graue Langohr kommt ausschließlich in Europa vor. Es meidet kühle Lagen und Gebirge, vielmehr wird es in Tälern und im wärmeren Tiefland gefunden. Die Bundesrepublik hat für den Erhalt dieser Art eine besondere Verantwortlichkeit, weil etwa 10% des Weltbestands in Deutschland lebt.
Weitere Informationen zur Rote-Liste-Bewertung des Grauen Langohrs – inklusive Bestandssituation, kurz- und langfristiger Bestandstrend sowie Verantwortlichkeit Deutschlands für die weltweite Erhaltung dieser Art – im Steckbrief.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf.
Meinig, H.; Boye, P.; Dähne, M.; Hutterer, R. & Lang, J. (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste der Säugetiere (Mammalia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (2): 73 S.