Entlang der deutschen Nord- und Ostseeküste sind Seehunde die häufigsten räuberischen Säugetiere. Ihre einzigen natürlichen Feinde sind die größeren Kegelrobben, die neben Fischen und Krebsen gelegentlich auch andere Meeressäuger, besonders deren Jungtiere, jagen. Einen weitaus größeren Einfluss auf die Seehundpopulationen hat jedoch der Mensch. Glücklicherweise gehört die früher intensive Jagd auf Seehunde der Vergangenheit an. In der aktuellen Roten Liste der Säugetiere Deutschlands wurde der Seehund in die Kategorie „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“ eingestuft.
Wer schon einmal Urlaub an der deutschen Küste gemacht hat, hatte vielleicht das Glück, einem Seehund zu begegnen. Gelegentlich erscheinen Einzeltiere an Badestränden und äugen neugierig aus dem Wasser. Regelmäßig liegen sie auf Sandbänken oder an störungsfreien Strandabschnitten und ruhen sich aus. Vereinzelt erkunden sie auch Hafenbecken oder schwimmen in die Unterläufe von Flüssen ein. Seehunde (Phoca vitulina) können bis zu 1,40 m lang und 150 kg schwer werden, wobei die Männchen in der Regel etwas größer und schwerer sind als die Weibchen. Sie haben eine stumpfe Schnauze und besitzen ein grau-silbernes Fell mit dunklen Flecken. Das dichte Haarkleid allein isoliert jedoch nicht ausreichend gegen kaltes Wasser. Zusätzlich besitzen Seehunde wie die meisten Meeressäuger eine mehrere Zentimeter dicke Fettschicht, die auch als „Blubber“ bezeichnet wird.
Gerade für die Jungtiere ist es überlebenswichtig, rasch eine dicke Speckschicht aufzubauen, da sie bei niedrigen Temperaturen rasch auskühlen würden. Daher enthält Seehundmilch etwa 45 % Fett. Um genug dieser nahrhaften Milch produzieren zu können und dabei selbst bei Kräften zu bleiben, müssen Seehundmütter viel jagen. Ihren Nachwuchs lassen sie solange hochwassersicher auf dem Sand zurück. Zu dieser Zeit kann es vorkommen, dass man Seehundjunge findet, die für menschliche Ohren klagend rufen – sie werden deshalb als „Heuler“ bezeichnet. Das Heulen ist aber kein sicheres Indiz, dass ein Jungtier auf sich allein gestellt ist. Meist kehrt die Mutter bald vom Beutefang zurück. Deshalb sollte man Abstand halten und das Jungtier keinesfalls berühren. Seehunde haben einen hochentwickelten Geruchsinn – die fremde Duftmarke eines Menschen könnte dazu führen, dass die Mutter ihr Junges nicht mehr erkennt und es dann tatsächlich aufgibt.
Bis weit ins 19. Jahrhundert waren Seehunde in Nord- und Ostsee viel häufiger als heute. Dann wurde die Art als unerwünschte Konkurrenz der gewerblichen Fischerei stark bejagt. In der Ostsee führte dies beinahe zur vollständigen Ausrottung. Vor etwa 70 Jahren begannen sich die Populationen langsam wieder zu erholen. Doch dann kam es vor allem in den Jahren 1988 und 2002 in Nord- und Ostsee zu starken Populationseinbrüchen infolge einer bis dahin unbekannten Virusinfektion. Der Erreger war das Seehund-Staupevirus, dem bis zu zwei Drittel der Seehunde zum Opfer fielen. Besonders Tiere, deren Immunsystem durch Umweltgifte geschwächt war, hatten der Seuche wenig entgegenzusetzen.
Mittlerweile haben sich die Bestände der Art in der Nordsee deutlich erholt. Das ist auch internationalen Schutzabkommen zu verdanken: In den Ländern der Europäische Union wird der Seehund wie alle Arten der Familie der Hundsrobben im Anhang II der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geführt, das heißt, dass für ihn Schutzgebiete eingerichtet werden müssen. Zusätzlich trat 1991 ein von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden unterzeichnetes Abkommen zur Erhaltung der Seehunde im Wattenmeer in Kraft.
In der Roten Liste der Säugetiere Deutschlands (2020) wurde der Seehund in die Kategorie „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“ eingestuft. Weitere Informationen und Rote-Liste-Angaben – inklusive Bestandssituation, kurz- und langfristiger Bestandstrend – enthält der Steckbrief aus der Rote-Liste-Artensuchmaschine.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf. Die Roten Listen Deutschlands werden von Artexperten und Artexpertinnen weitestgehend ehrenamtlich erstellt. Das Rote-Liste-Zentrum ist vom Bundesamt für Naturschutz mit der Gesamtkoordination der Roten Listen und der fachlichen Begleitung betraut.
Meinig, H.; Boye, P.; Dähne, M.; Hutterer, R. & Lang, J. (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste der Säugetiere (Mammalia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (2): 73 S.