Sie leben seit hunderten Millionen Jahren auf der Erde und haben sich seither kaum verändert: Die Urzeitkrebse gehören zu den ältesten Tierarten der Welt. Mit dem Frühjahrshochwasser an naturbelassenen Flüssen erwachen sie in manchen Tümpeln zu neuem Leben – für durchziehende Vögel ein willkommener Snack. Der zu den Urzeitkrebsen gehörende Frühjahrs-Feenkrebs ist im Norden Deutschlands noch häufig zu finden, im Süden jedoch eine ausgesprochene Rarität. Die Rote Liste der Blattfußkrebse Deutschlands verzeichnet ihn als „stark gefährdet“.
Zwischen Januar und Anfang Mai können die kältebedürftigen Frühjahrsarten der Urzeitkrebse – Frühjahrs-Feenkrebs (Eubranchipus grubii) und Schuppenschwanz (Lepidurus apus) – oft gemeinsam in denselben Tümpeln beobachtet werden. Man kann sie gut unterscheiden: Die nur wenige Zentimeter großen, garnelenartigen Feenkrebse schwimmen meist mit der Bauchseite nach oben. Der Schuppenschwanz hält sich dagegen vorwiegend am Boden auf und ist mit einem großen Rückenpanzer versehen.
Vor allem in Nord- und Ostdeutschland sind beide Arten noch relativ weit verbreitet. Ihre Lebensräume liegen insbesondere in den Flussauen von Spree, Havel, Elbe, Aller, Leine, Hunte und Ems. Diese Flüsse fließen zum Großteil in den breiten Urstromtälern der beiden letzten Kaltzeiten. Der Frühjahrs-Feenkrebs toleriert nur wenig Strömung: Seine Vorkommen liegen deshalb auf den Hochterrassen der Flüsse sowie hinter den Flussdeichen, außerhalb der eigentlichen durchströmten Überflutungsaue. Der Frühjahrs-Feenkrebs ist außerdem noch in Waldtümpeln und Gräben grundwassernaher und bodenfeuchter Wälder sowie in den Jungmoränengebieten Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns zu finden. Viele der Waldvorkommen liegen in ehemaligen Auenlandschaften.
Mit dem aufkommenden Frühjahrshochwasser steigen die Pegel der Flüsse. Dadurch entstehen auch hinter den Deichen Überschwemmungsflächen durch aufsteigendes Grundwasser. In der Elbe-Niederung werden diese temporären Gewässer als Druckwasser- oder Qualmwassertümpel bezeichnet. Die darin lebenden Urzeitkrebse nennt man daher auch „Qualmwasser-Krebse“. Außer von Qualmwasserkrebsen werden diese flachen Gewässer von vielen Amphibienarten, wie zum Beispiel von der stark gefährdeten Rotbauchunke (Bombina bombina) zur Fortpflanzung genutzt. Urzeitkrebse dienen vielen durchziehenden Vögeln als willkommener Imbiss, aber auch der Weißstorch nutzt diese Nahrungsquelle.
Urzeitkrebse leben in nur kurzeitig vorhandenen und fischfreien Kleingewässern. Mit dem Austrocknen solcher Tümpel sterben die Urzeitkrebse ab. Zuvor haben sie durch das Ablegen von „Dauer-Eiern“ (Zysten) für die kommenden Generationen gesorgt. Diese Zysten sind viele Jahre überlebensfähig, einige möglicherweise sogar Jahrzehnte – sie überdauern die trockenen Zeiträume sozusagen „schlafend“. Bei erneutem Hochwasser oder starkem Regen, der Senken und Hohlformen füllt, schlüpfen dann die jungen Krebslarven (Nauplien) aus den Zysten. Allerdings erwachen nicht alle Nauplien gleichzeitig, sondern gestaffelt in mehreren Kohorten in unterschiedlichen Jahren. Diese Strategie verhindert das Aussterben des gesamten Bestands falls Gewässer austrocknen, bevor den Krebsen die Fortpflanzung gelingt.
Durch menschliche Eingriffe in die Lebensräume der Urzeitkrebse sind vor allem die Frühjahrsarten zunehmend gefährdet. Zu den Hauptgefährdungsursachen zählen die Umwandlung der Auen, Entwässerungen und Grundwasserabsenkungen sowie die fortschreitende Klimaveränderung. Im Süden Deutschlands macht sich dies eindrucksvoll bemerkbar: Dort fanden die großen Flussregulierungen, etwa im Einzugsgebiet von Donau und Rhein, deutlich früher als im Norden oder Osten statt, viele Lebensräume mit temporären Kleingewässern verschwanden. Vor allem die Frühjahrsarten der Urzeitkrebse sind deshalb im Süden Deutschlands selten geworden.
Hinter der Bezeichnung „Urzeitkrebse“ verbirgt sich die stammesgeschichtlich sehr alte Krebsgruppe der Groß-Branchiopoden, auch Blattfußkrebse oder Kiemenfußkrebse genannt. Ihre Vertreter leben seit mehreren hundert Millionen Jahren auf der Erde und haben sich seither kaum verändert – sie gelten als „lebende Fossilien“. Innerhalb der heute lebenden Groß-Branchiopoden können drei Gruppen unterschieden werden: Feenkrebse (Anostraca, Schalenlose), Rückenschaler (Notostraca) und Zweischaler (Diplostraca), bis vor kurzem noch als Muschelschaler (Conchostraca) bezeichnet. Bei den Urzeitkrebsen lassen sich die wärmebedürftigen „Sommerarten“ von den an niedrige Temperaturen angepassten „Frühjahrsarten“ unterscheiden.
Ein Beitrag von Uwe Manzke
Der Biologe beschäftigt sich seit seiner Kindheit, vor allem als „Tümpler“, mit dem faszinierenden und lebenswichtigen Element Wasser in der Landschaft. Besonderes Interesse gilt hierbei den temporären Kleingewässern. Kontakt: www.laubfrosch-hannover.com
Rote-Liste-Bewertung
Weitere Informationen und Rote-Liste-Angaben zum Frühjahrs-Feenkrebs – inklusive Bestandssituation, kurz- und langfristiger Bestandstrend – enthält der Steckbrief (Eubranchipus grubii) der Rote-Liste-Artensuchmaschine.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf. Die Roten Listen Deutschlands werden von Artexperten und Artexpertinnen weitestgehend ehrenamtlich erstellt. Das Rote-Liste-Zentrum ist vom Bundesamt für Naturschutz mit der Gesamtkoordination der Roten Listen und der fachlichen Begleitung betraut.
Simon, L. (2016): Rote Liste und Gesamtartenliste der Blattfußkrebse (Branchiopoda: Anostraca, Conchostraca, Notostraca) Deutschlands. – In: Gruttke, H.; Balzer, S.; Binot-Hafke, M.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G.; Matzke-Hajek, G. & Ries, M. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 4: Wirbellose Tiere (Teil 2). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (4): 367-378
Die Rote-Liste-Daten stehen zum Download zur Verfügung.