Luchs, Fischotter, Kleine Hufeisennase sind wieder in Hessen zu finden, die Wildkatze konnte sich ausbreiten. Dies geht aus der aktualisierten Roten Liste der Säugetiere Hessens hervor, die das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) am 10. 10. 2023 vorgestellt hat. Dies täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass sich die Situation vieler Säugetiere im Land erheblich verschlechtert hat: Rund die Hälfte der Arten sind bestandsgefährdet oder ausgestorben.
Für die aktualisierte Rote Liste haben Wissenschaftler des Instituts für Tierökologie und Naturbildung im Auftrag des HLNUG die Gefährdungssituation der Säugetieren Hessens analysiert: Insgesamt sind acht der 71 in Hessen etablierten, heimischen Säugetierarten ausgestorben oder verschollen (11 %) und über ein Drittel der bewerteten Arten (35 %, 25 Arten) gilt als bestandsgefährdet.
Dabei ergab sich ein sehr unterschiedliches Bild: Seit langem als ausgestorben oder verschollen geltende Säugetiere wie die Fledermausart Kleine Hufeisennase, Luchs, Fischotter und Wolf konnten sich in Hessen wieder ansiedeln. Eine besondere Erfolgsgeschichte ist die Wildkatze in Hessen: Die Art hat sich seit dem Stand der letzten Roten Liste aus ihren damals verblieben Rückzugsgebieten im Taunus und Meißnergebirge wieder weit in nahezu alle hessischen Mittelgebirge ausbreiten können. Verschiedene Natur- und Artenschutzprojekte zeigen erste Erfolge.
Rund die Hälfte der heimischen Säugetierarten ist jedoch bestandsgefährdet oder schon seit langem ausgestorben. Seit Erscheinen der letzten Fassung der Roten Liste im Jahr 1996 hat sich die Situation vieler Säugetierarten erheblich verschlechtert. Am stärksten im Bestand bedroht sind noch immer Fledermäuse, auch wenn sich die Bestände in den letzten beiden Jahrzehnten etwas erholt haben und manche Arten wie die Mopsfledermaus sich gegenwärtig wieder stärker ausbreiten. Auch einstmals häufige Arten wie Feldhamster und Igel werden immer seltener oder sind inzwischen stark bedroht, da ihre Lebensräume sich stark verändern.
Wesentliche Gefährdungsursachen sind vor allem die Intensivierung der Landnutzung, Ressourcennutzung und Energieerzeugung, der Klimawandel, die Zerschneidung und Überbauung der Landschaft sowie der Verlust von Gehölzstrukturen und ungenutzten Vegetationssäumen. Auch sogenannte gebietsfremde Arten, d. h. einstmals eingeführte Arten wie der Waschbär oder das Nutria, können sich nachteilig auswirken. Insgesamt sinken die Kapazität und die Verfügbarkeit der Lebensräume für Säugetiere in Hessen.
Die intensivierte Bewirtschaftung von Offenland und die Entwicklung hin zu großen Bewirtschaftungseinheiten führen zu einem Mangel an unterschiedlichen Strukturen im Offenland, wie z. B. Hecken, Feldgehölzen, Wiesen und Gewässern. Vor allem kleine oder mittelgroße Säugetierarten, wie z. B. Feldhamster, Feldhase, Hermelin und Igel, leiden unter der fehlenden Strukturvielfalt. Fledermausarten dienen diese Strukturen als Orientierung bei Transferflügen und der Nahrungssuche im Offenland.
Baumbewohnende Fledermausarten finden durch forstwirtschaftliche Verfahren, wie dem in den vergangenen Jahrzehnten angewendeten Schirmschlagverfahren, bei denen großflächig Altbäume entnommen werden, nicht ausreichend Baumhöhlen, in denen sie ihre Jungtiere großziehen können. Renovierungen an Burgen, Schlössern oder Kirchen reduzierten bereits vor über 50 Jahren das Quartierangebot für Fledermäuse – eine Gefahr, die gegenwärtig durch die lückenlosen Dämmsysteme an Wohnhäusern noch verstärkt wird.
Nicht nur im Offenland und Wald, sondern auch im urbanen Raum führen Strukturveränderungen zu Artenschwund: Barrieren aus massiven Zäunen und Mauern in struktur- und nahrungslosen Ziergärten verhindern, dass sich z. B. der Igel frei bewegen und nach Nahrung suchen kann. Die immense Beleuchtung der Siedlungsräume führt zur Meidung durch lichtsensitive Fledermausarten und reduziert die ohnehin schon geringe Insektendichte in der Landschaft.
Um frühzeitig eine Verschlechterung der Säugetiervielfalt zu erkennen, ist es wichtig, regelmäßig die Vorkommen besser zu beobachten. Durch gezieltes Nachsuchen von Säugetierarten in Regionen, wo kaum Nachweise für die Art vorliegen, müssen die Daten in Hessen zukünftig maßgeblich verdichtet werden, so die Autorinnen und Autoren der Roten Liste. Kürzlich ist durch eine entsprechende Nachsuche erstmalig ein gesicherter Nachweis einer Rauhautfledermauskolonie in Hessen geglückt. Zum Schutz der vom Aussterben bedrohten Säugetierarten oder insbesondere Arten mit negativem Bestandstrend, schlagen die Autorinnen und Autoren außerdem Artenhilfsprogramme vor.
Die aktualisierte Rote Liste der Säugetiere Hessens erstellten Dr. Markus Dietz, Lisa Höcker, Johannes Lang und Olaf Simon vom Institut für Tierökologie und Naturbildung im Auftrag des HLNUG. Das HLNUG ist für die Koordination, Redaktion und Herausgabe der Roten Listen Hessens zuständig.