Deutschland ist weltweit das erste Land, für das jetzt eine Rote Liste der auf lebenden Pflanzen wachsenden Kleinpilze – der phytoparasitischen Kleinpilze – vorliegt. Das Bundesamt für Naturschutz und das Rote-Liste-Zentrum haben am 30. August 2023 die Ergebnisse vorgestellt.
Bonn, 30.8.2023: Die Publikation zeigt: Der Anteil der vom Aussterben bedrohten Arten dieser Organismengruppe liegt bei 13 Prozent und ist damit höher als bei den meisten anderen Organismengruppen. Insgesamt sind 34 Prozent der bewerteten Arten in ihrem Bestand gefährdet und mehr als 10 Prozent bereits ausgestorben oder verschollen. Ungefährdet sind nur 40 Prozent der in Deutschland einheimischen 1.196 Arten. Wesentlich gefährdet sind die phytoparasitischen Kleinpilze durch den Rückgang ihrer Wirtspflanzen. Gründe dafür sind unter anderem die Nutzungsintensivierung der Landwirtschaft, Entwässerung feuchter Standorte, Aufforstung von Offenland und Versiegelung von Flächen.
BfN-Präsidentin Sabine Riewenherm: „Die neue Rote Liste erweitert den Blick auf die Vielfalt der Pilze, ihre ökologische Bindung und ihre Gefährdungssituation. Die auf Pflanzen wachsenden Kleinpilze können nur gemeinsam mit ihren Wirtspflanzen in geeigneten Lebensräumen überleben. Darüber hinaus gefährden Stoffeinträge wie zum Beispiel Stickstoff und Phosphat sowie Fungizide und Herbizide die Pilze direkt oder indirekt, indem sie deren Wechselbeziehung mit den Wirtspflanzen beeinflussen. Um eine Trendumkehr zu erreichen, müssten diese Stoffeinträge verringert werden.“
Neben der Gefährdungssituation haben die Autorin und die Autoren der Roten Liste auch die nationale Verantwortlichkeit für die weltweite Erhaltung von Arten ermittelt: Eine erhöhte Verantwortlichkeit Deutschlands besteht für 13 Taxa. Sie ist zum Beispiel dann gegeben, wenn eine Pilzart auf eine bestimmte Wirtspflanzenart angewiesen ist und diese Pflanzenart ihren Vorkommensschwerpunkt in Deutschland hat.
„Phytoparasitische Kleinpilze sind hochgradig spezialisiert und überwiegend auf ganz bestimmte Wirtspflanzen angewiesen. Diese enge Bindung hilft beim Bestimmen der Pilze und ist eine wichtige Grundlage, um Bestandsgrößen und Bestandstrends der Pilzarten einschätzen zu können. Die Wirtspflanzenliste im Anhang der Publikation – eine Liste aller in Deutschland nachgewiesenen phytoparasitischen Kleinpilze zu jeder Pflanzenart – bietet deshalb einen großen Mehrwert für die Wissenschaft“, so Hjalmar Thiel, Koordinator und Autor der Roten Liste.
Die bundesweiten Roten Listen werden vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) herausgegeben und vom Rote-Liste-Zentrum (RLZ) koordiniert. Erstellt hat die Rote Liste der phytoparasitischen Kleinpilze ein erfahrenes Team pilzkundlich forschender Fachleute. Zur Erarbeitung der Datengrundlage haben viele weitere Personen aus ganz Deutschland beigetragen. Die neue Rote Liste behandelt alle in Deutschland nachgewiesenen Arten der traditionellen Gruppen „Brandpilze“, „Rostpilze“, „Echte Mehltaupilze“ sowie „Falsche Mehltaue und Weißroste“.
In den bundesweiten Roten Listen wird der Gefährdungsstatus von Tier-, Pflanzen- und Pilzarten für den Bezugsraum Deutschland dargestellt. Die Roten Listen sind zugleich Inventarlisten und bieten Informationen nicht nur zu den gefährdeten, sondern zu allen in Deutschland vorkommenden Arten der untersuchten Organismengruppen.
Die Autorinnen und Autoren bewerten die Gefährdung anhand der Bestandssituation und der -entwicklung. Die Grundlagen für die Gefährdungsanalysen werden von einer großen Zahl ehrenamtlicher Artenkennerinnen und Artenkenner ermittelt. Die Roten Listen selbst werden von den Autorinnen und Autoren ebenfalls in weiten Teilen ehrenamtlich erstellt. Die Methodik für die Bewertung der Arten hat das BfN gemeinsam mit Autorinnen und Autoren entwickelt. Die fachliche Prüfung der Roten Listen erfolgt durch das BfN.
Für den Schutz der Artenvielfalt in Deutschland stellen Rote Listen eine entscheidende Grundlage dar. Sie dokumentieren den Zustand von Arten und zeigen Handlungsbedarf auf. Damit sind sie Frühwarnsysteme für die Entwicklung der biologischen Vielfalt.
Das Rote-Liste-Zentrum (RLZ) koordiniert seit Dezember 2018 im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz die Erstellung der bundesweiten Roten Listen. Das Bundesumweltministerium fördert das RLZ mit jährlich 3,1 Millionen Euro. Es ist am Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn angesiedelt und wird fachlich vom BfN betreut. Das RLZ unterstützt die Autorinnen und Autoren sowie weitere beteiligte Fachleute der Roten Listen, indem es sie bei der Erstellung fachwissenschaftlich begleitet und Kosten für die Koordination, die Arbeitstreffen der Fachleute und andere vorbereitende Arbeiten übernimmt.