„Wenn der Milan sein Nest baut, pass auf die Wäsche auf!“, schrieb schon William Shakespeare in „The Winter's Tale". Rotmilane lebten früher mitten in London und wurden als Abfallverwerter geschätzt. Die Kehrseite: Sie ließen für den Nestbau schon mal ein Unterhemd mitgehen.
Heute brütet mehr als die Hälfte des weltweiten Rotmilan-Bestandes hierzulande. Für den Rotmilan (Milvus milvus) ist Deutschland deshalb in besonders hohem Maße verantwortlich: Das trifft für keine andere Brutvogelart in Deutschland zu, daher wird der Rotmilan manchmal auch als heimlicher Wappenvogel Deutschlands bezeichnet. Sein Verbreitungsgebiet ist nahezu auf Europa beschränkt und es gibt insgesamt nur rund 25.200–33.400 Brutpaare.
Der große, schlanke Greifvogel ist gut zu erkennen: Er hat einen tief gegabelten Schwanz und das Körpergefieder ist rostrot gefärbt. Die im Flug leicht gewinkelten Schwingen haben charakteristische helle Partien. Sein Nest, das er meist hoch in großen Bäumen baut, „dekoriert“ er gern mit Stoff-, Plastik- und Papierresten. Früher konnte das auch mal ein Wäschestück sein, das zum Bleichen ausgelegt worden war.
Als Lebensraum benötigt der Rotmilan abwechslungsreiche offene Landschaften in Nachbarschaft von Wald und mit anderen strukturgebenden Landschaftselementen wie Hecken und Baumgruppen. Den Großteil der Nahrung macht Aas aus, dicht gefolgt von Kleinsäugern, die er im Jagdflug erbeutet. Dafür darf der Aufwuchs auf den bejagten Flächen nicht zu hoch sein. Während der Mahd kann man besonders viele jagende Rotmilane beobachten, weil die Nahrung dann gut zugänglich ist. Die in Deutschland brütenden Rotmilane überwintern meist in Südfrankreich, Spanien oder Portugal. Doch immer mehr bleiben im Winter auch in ihrem Brutgebiet und schließen sich dabei mit Artgenossen zu größeren Gruppen zusammen.
Seit Anfang der 1990er Jahre kommt es zu einem Rückgang des Gesamtbestandes der Rotmilane in Deutschland: Im Zeitraum von 1988 bis 2014 war der Trend nach Daten aus dem „Monitoring of European Raptors and Owls“ (MEROS) um etwa 1,6 % rückläufig (Mammen 2016). Die Bestandsentwicklung unterscheidet sich allerdings regional sehr deutlich. Im Norddeutschen Tiefland nehmen die Rotmilan-Bestände ab, während sie in Südwestdeutschland und den Mittelgebirgsregionen zunehmen. In der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands steht der Rotmilan jedenfalls in der Rote-Liste-Kategorie „Vorwarnliste“.
Es gibt verschiedene Gründe für den Bestandsrückgang der Rotmilane. Bei der Jungenaufzucht können Störungen am Nest den Fortpflanzungserfolg mindern oder es kann zu einem Verlust des Nachwuchses durch Räuber wie z. B. Habicht oder Waschbär kommen. Weitere Gefahren drohen durch die Kollision mit Windenergieanlagen und illegale Verfolgung. Außerdem ist es für den Rotmilan schwierig, ausreichend Nahrung zu finden – hauptsächlich während der Jungenaufzucht, wenn der Nahrungsbedarf besonders hoch ist. Dadurch, dass die Landwirtschaft immer intensiver wurde, hat sich die Nahrungsverfügbarkeit insgesamt verschlechtert. Landwirtschaftliche Kulturen können heute sehr früh dicht und hoch aufwachsen, wodurch Beute für den Rotmilan nicht mehr erreichbar ist. Insgesamt gibt es auch weniger Anbauvielfalt, sodass die Milane nicht auf andere Flächen ausweichen können. Der Einsatz von chemischen Mittel zur Nagetier-Bekämpfung verschlechtert die Verfügbarkeit von Nahrung weiter und kann zu Sekundärvergiftungen führen.
Ein Hauptziel des Projektes „Rotmilan – Land zum Leben“ aus dem Bundesprogramm Biologische Vielfalt vom Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL), dem Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) und der Deutschen Wildtier Stiftung bestand darin, die Nahrungsverfügbarkeit für Rotmilane auf landwirtschaftlichen Flächen zu verbessern. Das Projekt ist bis auf ein Teilprojekt des DDA abgeschlossen (Stand 2020). Im Rahmen des Projektes haben Untersuchungen ergeben, welche Faktoren für ein stabiles Nahrungsangebot und eine gute Nahrungsverfügbarkeit grundlegend sind: unterschiedliche Anbaukulturen und Nutzungsstadien (Staffelmahd) im Mosaik sowie Rückzugsorte für Kleinsäuger und Feldvögel in Form von Hecken, Blühstreifen und mehrjährigen Brachflächen.
Ein Beitrag von Johanna Serfling
Die Landschaftsökologin ist Mitarbeiterin beim Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e. V., der bei der Erstellung der Roten Liste für Vögel mitgewirkt hat.
Weitere Informationen zur Rote-Liste-Bewertung des Rotmilans (Milvus milvus) – inklusive Bestandssituation, kurz- und langfristigem Bestandstrend – finden Sie über die Suchfunktion unserer Artensuchmaschine.
Die bundesweiten Roten Listen dokumentieren auf wissenschaftlicher Grundlage und in verdichteter Form die Gefährdung der einheimischen Arten. Damit sind sie ein stets verfügbares Fachgutachten, ein Frühwarnsystem für die Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Argumentationshilfe für umweltrelevante Planungen. Rote Listen zeigen den vordringlichen Handlungsbedarf im Artenschutz auf.
Weitere Informationen:
Grüneberg, C.; Bauer, H.-G.; Haupt, H.; Hüppop, O.; Ryslavy, T. & Südbeck, P. (2016): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 5. Fassung, 30. November 2015. – Berichte zum Vogelschutz 52: 19-67.
Die aktuellen Rote-Liste-Daten sind als Download verfügbar.
Bischofberger, I.; Kamrad, M.J.; Wasmund, N.; Sindl, L.; Bayoh, R.; Katzenberger, J.; Laux, A.; Müller, B.; Horchler, B.; Helms, F.; Beining, F.; Michels, P.; Stricker, V.; Krämer, M.H. & Gottschalk, E. (2019): Werden junge Rotmilane Milvus milvus satt? Nahrungsmengen und Nahrungszusammensetzung in drei Regionen Deutschlands. – Vogelwelt 139: 87–99
Dachverband Deutscher Avifaunisten (o. D.): Rotmilan-Projekt – Hintergrund. – URL: https://www.dda-web.de/index.php?cat=rotmilanproj&subcat=hintergrund (aufgerufen am 18.05.2020).
Deutsche Wildtier Stiftung (o. D.): Rotmilan – Land zum Leben. – URL: https://www.rotmilan.org/ (aufgerufen am 18.05.2020).
Gedeon, K.; Grüneberg, C.; Mitschke, A.; Sudfeldt, C.; Eikhorst, W.; Fischer, S.; Flade, M.; Frick, S.; Geiersberger, I.; Koop, B.; Kramer, M.; Krüger, T.; Roth, N.; Ryslavy, T.; Stübing, S.; Sudmann, S.R.; Steffens, R.; Vökler, F. & Witt, K. (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Atlas of German Breeding Birds. – Münster (Stiftung Vogelmonitoring und Dachverband Deutscher Avifaunisten).
Grüneberg, C. & Karthäuser, J. (2019): Verbreitung und Bestand des Rotmilan Milvus milvus in Deutschland. – Ergebnisse der bundesweiten Kartierung 2010-2014. - Vogelwelt 139: 101-116.
Karthäuser, J. & Katzenberger, J. (2018): Liebeskummer, Winterflucht und Sitzenbleiber: Die kuriosen Reisen der Rotmilane. - Falke 65 (7): 31-33.
Karthäuser, J.; Katzenberger, J. & Sudfeldt, C. (2019): Evaluation von Maßnahmen zur Verbesserung des Nahrungsangebotes für den Rotmilan Milvus milvus in intensiv genutzten Agrarlandschaften. – Vogelwelt 139: 71-86.
Mammen, U. (2016): Anwendungsmöglichkeiten einer Datenbank zur Langzeitdynamik von Greifvögeln und Eulen. - Beiträge zur Jagd und Wildforschung 41: 03-210.
Nicolai, B.; Günther, E. & Hellmann, M. (2009): Artenschutz beim Rotmilan. Zur aktuellen Situation in seinem Welt-Verbreitungszentrum Deutschland/Sachsen-Anhalt (Grundlagen, Probleme, Aussichten). Naturschutz und Landschaftsplanung 41 (3): 69-77.