Mit seinen Bartfäden sieht er zwar aus, als hätte er sich den Mund fusselig geredet, doch der Schlammpeitzger ist vorne stumm wie andere Fische auch. Geräuschvoll geht es nur zu, wenn die aalartig wirkenden Tiere Luft aus dem Enddarm pressen – nicht ohne Grund wurden sie im Norden „Piepaal“ und im Süden „Furzgrundel“ genannt. Schon im Jahr 1549 schrieb Georg Agricola „Sie geben einen durchdringenden Ton von sich“.
In Deutschland wurde der zu den Schmerlen gehörende Schlammpeitzger (Misgurnus fossilis) früher gern als Köder für Raubfische benutzt, ein Speisefisch war er nur in Osteuropa. Dort hat auch der rätselhafte Name „Peitzger“ seinen Ursprung. Er ist eine Ableitung des slawischen Wortes „piskati“ für „pfeifen, flöten“. Die zehn Bartfäden, die die Mundöffnung umgeben und deren Haut tausende von Sinnesknospen tragen, verleihen dem nachtaktiven Tier das nötige Fingerspitzengefühl, um Würmer und Insektenlarven auch im Trüben fischen zu können. Eine weitere bemerkenswerte Anpassung betrifft die Augen: Die Hornhaut ist zweischichtig – die innere Schicht ist mit dem beweglichen Augapfel verbunden, während die äußere wie eine starre Taucherbrille Schmutz abhält.
Im Sommer, wenn Tümpel und Gräben nur noch wenig Wasser führen, erweist sich der Peitzger als unübertroffen zäh. Seine schleimige Haut trocknet kaum aus. Eingewühlt in den Schlamm kann er wochenlang überleben. Nur zum Atmen kommt er an die Oberfläche und drückt die Luft via Speiseröhre bis in den Enddarm. Dessen Innenwände sind wie Lungenbläschen von einem dichten Netz feinster Blutgefäße umsponnen und können den Sauerstoff rasch aufnehmen. Bei einem anrückenden Tief treibt es ihn im Minutentakt an die Oberfläche, denn niedriger Luftdruck verschärft den Sauerstoffmangel im Wasser.
Die Fähigkeit, auf Druckunterschiede zu reagieren, verhalf dem Schlammpeitzger schon früh zu einer Karriere als lebendiges Barometer. Man steckte ihn in ein Wasserglas mit Sandboden und beobachtete seine Aktivität. Je öfter der Fisch zwischen Boden und Oberfläche wechselte, desto niedriger war der Luftdruck und um so höher die Regenwahrscheinlichkeit. Als Wetterprophet schaffte er es vor mehr als 200 Jahren sogar in die Literatur. Der kauzig-boshafte Dr. Katzenberger in Jean Pauls „Katzenbergers Badereise“ lädt nur dann Abendgäste zu sich ein, wenn sein Wetterfisch Sturm und Gewitter ankündigt. So kann der Herr Doktor fest damit rechnen, dass die Eingeladenen kurzfristig absagen werden.
Zwar kann der Schlammpeitzger sogar in Tümpeln und Gräben überleben, die klein, schlammig und sauerstoffarm sind, aber genau diese Gewässer wurden vielerorts zugeschüttet. Wo sie erhalten blieben, dienen sie der Entwässerung von landwirtschaftlich genutzten Flächen und werden regelmäßig maschinell gereinigt oder ausgefräst. Das verträgt auch der zäheste Schlammpeitzger nicht. In Deutschland ist die Art heute selten, nachdem die Bestände langfristig stark zurückgegangen sind. In der Roten Liste ist sie als gefährdet eingestuft.
Freyhof, J.; Bowler, D.; Broghammer, T.; Friedrichs-Manthey, M.; Heinze, S. & Wolter, C. (2023): Rote Liste und Gesamtartenliste der sich im Süßwasser reproduzierenden Fische und Neunaugen (Pisces et Cyclostomata) Deutschlands – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (6): 63 S.