Wrap-up: Die Suche nach dem Loreley-Dickkopffalter im Mittelrheintal blieb ohne positives Ergebnis, so dass die Experten und Expertinnen davon ausgehen, dass diese Schmetterlingsart in Deutschland ausgestorben ist. Auch die Bestimmung der aufgefundenen Raupe erwies sich nach eingehender Untersuchung als Fehlschlag – sie gehört nicht zu der gesuchten Schmetterlingsart. Vom 2. bis 4. Juli 2021 hatten zwölf Schmetterlings-Fachleute in den 25 am besten geeigneten Habitaten zur günstigsten Flugzeit vergeblich nach dem Falter gesucht.
Das Aussterben einer Art in einem Gebiet ist selten beweisbar, solange dort noch geeignete Habitate vorhanden sind. Ein Fortbestehen einer sehr kleinen Population, die aus so wenigen Tieren besteht, dass sie schon aus statistischen Gründen kaum zu finden sind, kann dann nicht ausgeschlossen werden. Im Fall des Loreley-Dickkopffalters (Carcharodus lavatherae) liegt der letzte sichere Nachweis 36 Jahre zurück. Seitdem hat es immer wieder gezielte Exkursionen zur Suche nach der Art gegeben – leider ohne Erfolg. Wenn der Loreley-Dickkopffalter bis zum Erscheinen der nächsten Roten Liste der Tagfalter Deutschlands nicht wie durch ein Wunder gefunden wird, ist er nun in die Kategorie 0 „Ausgestorben oder verschollen“ einzuordnen.
Der deutsche Name des Loreley-Dickkopffalter weist schon auf ein Teil des „Problems“ hin: Er ist/war in Deutschland nur am Mittelrhein zu finden, in kleiner Population und als hochgradig isolierter Vorposten. Die nächsten Vorkommen liegen 400 km entfernt im Rhône-Tal. In Frankreich und im Mittelmeergebiet ist die Art weit verbreitet – nur ein verschwindend kleiner Anteil seines Verbreitungsgebiets liegt in Deutschland.
Statt Loreley- wird er deshalb auch Ziest-Dickkopffalter genannt, nach der charakteristischen Raupennahrungspflanze, die ihm auch in anderen Ländern schmeckt. Mit diesem Namen steht er auch in der Roten Liste.
Die Ursachen für sein Verschwinden sind im Landschaftswandel zu suchen. Der Loreley-Dickkopffalter fand im wärmebegünstigten steilen Mittelrheintal vor Eingreifen des Menschen günstige Bedingungen vor, da der Fluss frei von Uferverbauungen die Felshänge bearbeitete und durch Seitenerosion immer wieder Rutschungen, Abbrüche und Felsstürze auslöste. Ideal für den Falter! Der Mensch unterband diese Erosionstätigkeit und schuf durch das Anlegen von Weinbergen und Streuobstwiesen eine Kulturlandschaft, die von Mauern und Felsen durchsetzt war und dem Falter ebenfalls geeignete Lebensräume bot.
Vor allem ab den 1950er Jahren zog sich der Weinbau aus den Steillagen des Mitterheintals mehr und mehr zurück; die Weinberge fielen brach und die vormals offene Landschaft wurde über weite Strecken vom Wald zurückerobert. Einen Tiefpunkt dieser Entwicklung gab es in den 1980er und 1990er Jahren: Das ist genau die Zeit, in der Carcharodus lavatherae verschwand. Inzwischen gibt es durcheine gezielte Landschaftspflege, oft initiiert durch Kompensationsmaßnahmen und Artenschutzprogramme, wieder mehr geeignete und auch vernetzte Offenlandflächen, sodass ein Vorkommen des Ziest-Dickkopffalters aus heutiger Sicht denkbar erscheint.
So, wie es nun aussieht, kam diese Entwicklung für ihn leider zu spät.
Exkursions-Blog mit den Erlebnissen und Ergebissen des jeweiligen Tages:
Weitere Informationen zum Loreley-/Ziest-Dickkopffalter:
Der Ziest- bzw. Loreley-Dickkopffalter (Carcharodus lavatherae) ist in der Roten Liste der Tagfalter Deutschlands (2011) als „Vom Aussterben bedroht“ gelistet. Seit mehr als 30 Jahren wurde er in Deutschland nicht mehr gesehen.
Das Rote-Liste-Zentrum (RLZ) hat die Suchexkursion „Loreley-Dickkopffalter“ unterstützt. Im Zuge der vorbereitenden Arbeiten von aktuellen Roten Listen setzt das RLZ neben der Erfassung von verfügbaren Daten und Monitoring-Ergebnissen auf gezielte Nachsuchen. Diese zielgerichteten Kartierungen beziehen sich immer auf Einzelarten, die entsprechend der aktuell gültigen Roten Liste als ausgestorben, verschollen, vom Aussterben bedroht, extrem selten oder stark gefährdet gelten. Dabei untersuchen Experten und Expertinnen der jeweiligen Artengruppen an bekannten Standorten historischer Verbreitung oder in anderen potentiell für die Art geeigneten Lebensräumen, ob die Zielart dort noch vorkommt oder nicht. Diese Strategie hat sich als sehr effektiv erwiesen und dazu geführt, dass der Gefährdungsgrad dieser Arten genauer eingeschätzt werden kann und die Aussagekraft der jeweiligen Roten Liste weiter verbessert wird.
Oftmals ist das Ergebnis der Nachsuchen – wie hier beim Loreley-Dickkopffalter – negativ. Auch das ist ein wichtiges Resultat, zeigt es doch, dass ein effektiver Habitatschutz unverzichtbar ist, um dem Aussterben von weiteren Tier-, Pflanzen- und Pilzarten in Deutschland entgegenzuwirken.